Treasure

Und dann, als du wach liegst und die Hand auf’s Herz legst, spürst du auf einmal, dass da was anders ist. Da, wo vorher immer dann, wenn du nicht am Meer warst, sofort ein stechender sehnsüchtiger Meerwehschmerz einsetzte, fühlt es sich auf einmal an, als wäre alles angefüllt mit dem Rauschen und den Wellen des Atlantiks und du weisst, dass die Verbindung die du dieses Mal mit dem Ozean eingegangen bist, eine andere ist. Die Windsbraut, die Wellentochter, das girl of the sea hat das Meer im Herzen mit nach Hause genommen.

Und du hoffst, dass es da bleibt, wenigstens für eine Weile, und bist in diesem Moment unendlich froh. Und dankbar.

Katja 🌊

 

Damals™ in dem winzigen Dorf an der Ostsee…

Wir verbrachten damals den Sommerurlaub immer im gleichen winzigen Dorf an der Ostsee. In den ersten Jahren noch zusammen mit einer anderen Familie, die entfernt mit uns verwandt war und zu denen meine Eltern engen Kontakt hatten, später, als es denen zu viel wurde, jedes Jahr wieder in den gleichen Ort zu fahren, dann nur meine Familie alleine. In den ersten Jahren ging ich noch nicht mal zur Schule und insgesamt fuhren wir dorthin bis ich 14 war. Also vermutlich 10 Jahre, eher 11 am Stück, jeden Sommer. In manchen (wenigen) Jahren auch noch zusätzlich eine Woche über Ostern. Aber normalerweise nur im Sommer, denn die Osterferien verbrachten wir fast immer, in etwa der gleichen Entfernung in die andere Richtung – am Bodensee bei meiner Oma väterlicherseits.

Dieser Ort, das war mein wahres Zuhause, zumindest war da immer dieses Gefühl, dass das alles verkehrt herum ist. Dass wir dort leben und wohnen und dann dorthin, wo wir tatsächlich wohnten in Urlaub fahren sollten.

Wir wohnten immer im gleichen Haus bei den gleichen Leuten in der Ferienwohnung, fast immer in der gleichen Wohnung. Wir links im Flur, wenn man die Treppe hochkam. Die andere Familie direkt am Treppenabsatz rechts. Später dann, als das Dachgeschoss ausgebaut war und wir alleine hinfuhren, wohnten wir oben unterm Dach. Wenn man zur Wohnungstür reinkam, stand man direkt im Wohnzimmer mit Esstisch und kleiner Küchenzeile. Eigentlich war es gar kein richtiges Wohnzimmer, denn es gab für 4 Personen nur insgesamt 2 Sessel als bequeme Sitzgelegenheit. Nach links ging es zuerst ins Bad, dann in das Zimmer von meiner Schwester und mir. Rechts vom Wohnzimmer war das Schlafzimmer meiner Eltern.

Die Dachgeschosswohnung mochte ich lieber, denn wenn man sich weit aus dem Fenster unseres Zimmers rauslehnte und den Oberkörper halb nach rechts drehte, dann konnte man von dort aus bis zum Sportplatz und mit guten Augen auch bis zum dahinter liegenden Spielplatz gucken. Man konnte zwar nicht erkennen, wer dort war, aber auf jeden Fall, ob jemand da war.

Je häufiger wir dort hinfuhren, desto besser lernten wir die dortigen Dorfkinder kennen. An die ersten Jahre kann ich mich nicht mehr so gut erinnern, aber sobald ich schreiben konnte, hatte ich dort meine ersten Brieffreundinnen und Brieffreunde. Anfangs nur 2, dann von Jahr zu Jahr wurden es mehr Kinder, denen ich das ganze Jahr über Briefe schrieb und die mir schrieben.

Vor dem Haus gab es ein kleines Stück Rasen und davor ein flaches Mäuerchen und an den Tagen, wenn wir dort zum Urlaubsbeginn ankamen, saß schon immer ein halbes Dutzend der Dorfkinder und erwartete uns sehnsüchtig. Wir mussten immer erst helfen, das Auto auszuräumen – natürlich unter tatkräftiger Hilfe der Freundinnen und Freunde – und mussten auch immer zuerst unsere Betten beziehen, aber dann hielt uns nichts mehr in der Wohnung und wir stürmten allesamt durch den Garten unserer Ferienwohnungsvermieter, der einen direkten Zugang zum Sportplatz hatte und über den Sportplatz zum Spielplatz. Die große Blockhütte, die dort stand, war unser Ziel. Dort verbrachten wir die meiste Zeit der Urlaube. Zu den Essenszeiten strömten alle ins jeweilige Zuhause, aber ansonsten verbrachten wir die meiste Zeit des Tages zusammen mit den Kindern dort.

Später verlagerte sich das an die Bushaltestelle. Ich glaube, wir fühlten uns einfach zu alt und zu cool damals, um noch den ganzen Tag auf dem Spielplatz abzuhängen. An der Bushaltestelle gab es zwei solcher überdachten und seitlich verkleideten Bänke, eine nach vorne zur Straße, eine nach hinten raus. Wer zuerst da war, erkannte man daran, wer einen Platz hinten ergattert hatte. Da konnte man zwar nicht so gut beobachten, was auf der Straße so vor sich ging, aber man konnte auch nicht so einfach von vorbeikommenden Erwachsenen gesehen werden.

Das alles war so anders als in meinem echten Zuhause, denn die hielten alle zusammen. Klar gab’s da auch mal Streit. Aber wir wurden dort mit einem unglaublichen Selbstverständnis in die Gemeinschaft aufgenommen und gehörten einfach dazu. Es spielte keine Rolle, dass wir nur ein paar Wochen im Jahr da waren, wir hatten ja auch das ganze Jahr über Kontakt. In meinem Heimatdorf gab es sowas nicht. Dort hätten niemals die Älteren sich mit den Jüngeren abgegeben, da war es schon schwierig innerhalb der einzelnen Jahrgänge irgendwie dazuzugehören.

Vor ein paar Tagen habe ich in einem Gespräch über glückliche Kindheitserinnerungen nachgedacht und deswegen muss ich das jetzt hier aufschreiben. Denn fast alle meine glücklichen Kindheitserinnerungen gehören in diese Urlaube, gehören in dieses kleine Dorf an der Ostsee.

Wenn wir nicht gerade auf dem Spielplatz saßen und große Pläne schmiedeten, waren wir oft angeln. Es gab 3 kleine Teiche im Dorf. Den Feuerwehrlöschteich, der immer komplett von einer grünen Schicht Entengrütze überzogen war (Lasst euch nie in so ’nen Tümpel schubsen! Das Zeug klebt fies in den Haaren und allen Poren.), den Krügerteich, wo wir eigentlich aber gar nicht hätten angeln dürfen und wo wir das nur gemacht haben, wenn Kais Eltern nicht da waren und den Teich vor Marios Haustür, von dem ich gar nicht mehr weiss, ob er einen Namen hatte. Dort durften wir angeln, dort störte sich niemand an uns. Und da saßen wir auch unzählige Stunden rum, oft schweigend, denn wenn man zu laut ist, beissen die Fische natürlich nicht. Was wir fingen, wurde vorsichtig vom Haken genommen und wieder in den Teich geworfen. Ums Angeln an sich ging es uns, nicht um den Fang.

Beim allerersten Mal, wo ich zum Angeln mitdurfte, wurde ich – als Jüngste und noch dazu Mädchen (angeln gingen fast nur die Jungs, die Mädchen hatten sie nicht so gerne dabei, weil die, ihrer Meinung nach, nicht stillsitzen konnten) – auserkoren, die Köder zu besorgen. Ich war damals stolz wie Oskar, dass sie mich mitnahmen und es machte mir überhaupt nichts aus, bis zu den Ellbogen im Kompost zu wühlen, um nach Regenwürmern zu graben. Wir lachten viel, aber es war kein Auslachen, dass ich so doof war, tatsächlich die Arme in den Kompost zu stecken, sondern ein gemeinsames Lachen, weil ich daran sogar noch Spaß gefunden habe. Nur am Haken befestigen wollte ich die armen Würmer dann doch nicht…

In dem Ort gab es einen Kaufmann. Ein echtes Original, sowohl der Laden als auch der Ladenbesitzer, der mir schon uralt vorkam als ich noch nicht zur Schule ging und der den Laden immer noch betreibt. Der nennt sich auch heute noch Kolonialwarenladen und verkaufte einen kruden Mix verschiedener Waren, von denen ich mich bei manchen schon als Kind gefragt habe, wie lange die wohl schon in den Regalen des Ladens liegen. Zum Beispiel bekam man dort noch echte alte Metallwärmflaschen – nicht als besonderes Gimmick, sondern die blieben so lange im Sortiment bis sie eben verkauft waren. Und so lange hatte er auch keine Nachfolgemodelle aus Gummi in den Regalen liegen, was besonders skurril wirkt, wenn man dem Wikipediaartikel glauben kann, dass die aus Gummi schon in den 1920er Jahren in Mode kamen.

Abends, wenn sie vom Kartenspielen mit dem Ferienwohnungsvermieterpaar zurück in die Ferienwohnung kamen, legten meine Eltern ein bisschen Kleingeld auf den Esstisch und es war die Aufgabe von meiner Schwester oder mir, morgens, bewaffnet mit der kleinen Plastikmilchkanne, loszuziehen und Milch und Brötchen beim Kaufmann zu holen. Doch egal wie früh man auch hinkam – die Brötchen waren nie frisch und schmeckten immer so und waren auch so hart, als wären sie mindestens einen Tag alt. Aber im Ort gab es ansonsten auch keine andere Möglichkeit der Brötchenbeschaffung, also nahmen wir das ziemlich lange so hin.

Irgendwann, ich war dann sicher schon in der Schule, wir waren also schon ein paar Jahre lang dort im Urlaub gewesen, als tatsächlich mal jemand vor mir an der Backwarentheke stand, sollte ich eine wichtige Lektion für künftige Jahre des Brötchenkaufs dort lernen: Es gab dort zwei Kübel mit Brötchen hinter der Theke und die Frau, eine Einheimische, die vor mir dran war, bestellte ‚x frische Brötchen‘ und bekam ihre Brötchen aus dem einen Kübel, ich bestellte ganz normal meine ‚x Brötchen‘ und bekam sie aus dem anderen, die natürlich wieder steinhart waren. Aber das war das letzte Mal, ab dem nächsten Tag gab es auch bei uns frische Brötchen und ich erinnere mich an das ungewohnte Lächeln des Kaufmanns bei der Bestellung. Wer den Geheimcode kennt, gehört dazu.

Wenn ich an den Ort denke, habe ich heute noch ein warmes Gefühl im Bauch. Ich frage mich, was aus den Kindern von damals geworden ist. Ich denke an unzählige Morgen, an denen ich, die Milchkanne schwenkend das Dorf durchquert habe und an denen mir mit großer Selbstverständlichkeit das ‚Moin‘ als Gruß über die Lippen ging, wenn ich an einem der Dorfbewohner vorbeikam, der gerade den Sand auf dem Bürgersteig vor seinem Haus gerecht hat.

Ich denke an unzählige Male, in denen ich in einem der Teiche gelandet bin – und nur ein einziges Mal bin ich tatsächlich aus Dappigkeit und ohne fremdes Nachhelfen reingefallen.

Ich erinnere mich daran, wie wir heimlich, als unsere Eltern tagsüber am Strand waren, unsere Freunde mit in die Wohnung nahmen, was uns eigentlich verboten war und wie wir dort gemeinsam Spaghetti kochten und Pudding und dass meine Mutter uns tatsächlich glaubte, meine Schwester und ich wären so hungrig gewesen, dass wir alleine ein ganzes Kilo Nudeln verschlungen haben.

Ich denke an Tanja und Sven, an Hauke und Heiko, den alle nur Fiete nannten, an Mario und Jan, nach denen ich schon unzählige Male gesucht habe, seit es das Internet gibt, an Susan und Anne, die beiden Andreas, Kirsten und Peggy, an Kai und Dirk, an Ingo, der in Hamburg wohnte und die Ferien immer bei seiner Tante verbrachte und der mich auf seiner Mofa, denn die Mofa ist im Norden zwingend weiblich, mit ins Kino nahm und an Marc, der eigentlich in Lübeck wohnte, aber die Ferien bei seinem Großvater in der Schmiede verbrachte und der mit mir zusammen durchbrennen wollte. Zu all diesen Namen habe ich noch Gesichter im Kopf, trotz all der Jahre, die dazwischenliegen.

Ich erinnere mich an mein erstes Udo Lindenberg Konzert von vielen und wie sehr Jan, der einsneunzig Riese mir damals geholfen hat, meine Eltern davon zu überzeugen, dass er mitgehen und gut auf mich aufpassen würde und dass er mitkam, obwohl er Udo nicht sonderlich mochte und daran, dass irgendwo im Keller immer noch das von der Plakatwand in der nächsten Stadt geklaute Plakat des Konzertes liegt, und an den Abend, als ich das mühevoll mit mehreren Plakatschichten untendrunter abgefummelt habe, damit es nicht einreisst und dass mein Vater ein paar Meter weiter Schmiere stand und immer gepfiffen hat, wenn jemand sich näherte und das ist überhaupt meine älteste richtig gute Erinnerung an meinen Vater.

Die Erinnerung macht mir ein warmes Gefühl. Freundschaft und Zusammenhalt – denen bin ich selten im Leben in solchem Ausmaß wie in dem winzigen Dorf an der Ostsee begegnet.

Katja

Brauner Zucker

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Diese Tage, an denen so viel nicht klappt oder schief geht oder Murks ist, dass du irgendwann, wenn dir die frisch geöffnete Tüte mit braunem Zucker weiter aufreisst und sich ein Drittel des Inhalts über die Arbeitsplatte ergießt, denkst, ‚oh, da hab ich ja Glück gehabt‘ anstatt dich zu ärgern. Glück gehabt, weil es ja auch hätte blöder kommen können und der Zucker hätte sich über den kompletten Küchenboden verteilen können oder noch schlimmer in den schmalen Spalt zwischen Schrank und Kühlschrank, wo man nicht mal mit dem Staubsauger so einfach dran kommt. Aber stattdessen war es nur ein Drittel des Pakets und nur auf diesem überschaubaren Teil der Arbeitsfläche.

Und dann wird dir beim Aufwischen des Zuckers wieder einmal bewusst, wie relativ solche Wahrnehmung ist, was Glück ist und was Pech und wie stark das bei dir selber von der jeweiligen Tagesform abhängig ist. Und dann merkst du, dass trotz des seltsamen Tages, der mit einem gruseligen Albtraum um 5 Uhr früh begonnen hat, nach dem du lieber wach geblieben bist und gelesen hast, aus Angst, du könntest beim Wiedereinschlafen an der gleichen Stelle weiterträumen, dein Optimismus noch funktioniert, weil du nicht denkst ‚oh, das jetzt auch noch‘ sondern ‚oh, da hab ich ja Glück gehabt‘. Und dann ist der Tag auf einmal ein kleines bisschen weniger doof.

Katja

Glück ist #29

…mit einer Schüssel und einem kleinen Messer bewaffnet rauszugehen und eine halbe Stunde später mit dem frisch geernteten Abendessen wieder reinzukommen.

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Es ist dieses Wissen, dass ich diese Dinge selber angebaut habe, die Samen irgendwann in Erde gedrückt habe oder bei den Erdbeeren die Pflanzen irgendwann vor ein paar Jahren heimgetragen und eingepflanzt habe. Dass ich die Dinge täglich gegossen, ihnen beim Wachsen zugeschaut und laut gequiekt habe, als sich die erste Erdbeerblüte, die erste kleine Tomate gezeigt haben. Und jetzt kann ich rausgehen und Abendessen ernten und die Finger riechen nach den gleichen frischen Kräutern, nach denen mein Essen gleich schmecken wird.

Das sind die Momente, wo ich mich sehr auf dem Boden fühle, sehr geerdet und gleichzeitig überwältigt davon, wie großartig die Natur ist und dass es sowas wie Erdbeeren überhaupt gibt. Und wie gut es mir geht, dass ich nur rauszugehen brauche, um sie zu pflücken.

Katja

Holunderdepressionen

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Es ist dieser Tage immer wieder die gleiche Grenze, an die ich stoße und die ich bei mir lange lange nicht mehr wahrgenommen hatte. Ich kann mich nicht richtig freuen. Und das ist Mist und das macht mir mehr als deutlich, wie schlecht es mir eigentlich, tief in mir drinnen geht, während ich aussen versuche mir vor mir und allen anderen nichts anmerken zu lassen.

Vorhin habe ich Holunderblütengelee gekocht. Gelee oder Marmeladekochen ist etwas, was ich _eigentlich_ unheimlich gerne mache, weil – und das ist speziell bei Holunderblütengelee so – die halbe Wohnung hinterher duftet. Danach habe ich – und das mache ich auch fast immer direkt nach dem Marmeladenkochen – direkt das erste Brot mit dem noch lauwarmen Gelee probiert. Und normalerweise ist spätestens das der Moment, indem ich in Glückseligkeit versinke, weil es nicht nur lecker ist, sondern sich auch total gut anfühlt zu wissen, dass ich das gerade selber gemacht habe. Gestern waren diese zwanzig Blütendolden zwanzig unter vielen hundert an einem Strauch am Rheinufer und heute habe ich diesen herrlichen holundrigen Hauch von Sommer in Gläsern konserviert in meiner Küche stehen. Und während ich das tippe, erinnere ich mich daran, wie glücklich mich das normalerweise machen würde und höre in mich rein und da hallt es nur dumpf und leer.

Danach war ich im Garten und habe dort soviele rote Erdbeeren pflücken können, dass die mitgenommene Schüssel zu klein war und das sind richtige Erdbeeren, die die Süße von etlichen Sonnenstunden im Geschmack haben. Und während ich in der Küche stehe und sie wasche und putze und überlege, ob ich nicht doch noch spontan einen Kuchen daraus backen sollte, wo es schonmal so viele reife Früchte auf einmal sind, merke ich, wie die Sicht verschwommen wird und wie ich grundlos losheulen muss, bei einer Tätigkeit, die mich normalerweise zum Strahlen bringt.

Und dann kann ich mich nicht mehr länger vor mir selber verstecken und muss mir endlich eingestehen, wie tief ich gerade wieder in der Depression stecke.

Es ist anders als vor Jahren, als diese Freudlosigkeit mich über Wochen und Monate nicht verlassen hat. Äusserlich funktioniere ich, bringe zumindest meistens, zumindest die meisten wirklich dringenden Dinge auf die Reihe, gehe einkaufen und an den Rhein, wasche Wäsche und gieße Blumen. Und ich koche. Und selbst das Kochen, das mich normalerweise richtig froh macht, mache ich, weil ich es eben machen muss. Lust dazu? Fehlanzeige. Und wäre ich nicht so verbissen darin, Essen frisch zuzubereiten und auch dann, wenn es mir schlecht geht, trotzdem diszipliniert genug, hätte ich vermutlich längst mal in den Läden geguckt, was es überhaupt so an Fertigdingsen gibt.

All diese Dinge, die ich zwar gerade auf die Reihe bekomme, kosten mich so viel mehr Kraft als sie das normalerweise tun. Es fällt mir wahnsinnig schwer, mich überhaupt aufzuraffen, sie anzupacken und dann merke ich, wie ich hinterher zusammensacke, manchmal auch mitten drin und wie ich mich ausruhen muss, von Tätigkeiten, die ich normalerweise mal eben mit links und nebenbei erledige. Mutlos. Kraftlos. Müde. Überfordert.

Ich fühle mich gerade wahnsinnig hilflos, weil all meine üblichen Strategien, wie ich mich selber wieder aus diesen Löchern der Depression rausziehen kann, versagen. Weil all die Dinge, die normalerweise helfen, gerade nicht funktionieren und mir langsam die Ideen ausgehen, wie ich es noch versuchen könnte.

Es gibt nicht so viele Dinge, von denen ich selber sage, dass ich sie gut kann oder dass ich darin talentiert bin. Was ich aber üblicherweise als solches empfinde, ist meine Fähigkeit, mich über Kleinkram zu freuen (und zwar so sehr, dass es mir manchmal schon peinlich vor anderen ist, wenn ich zB zu Beginn des Frühlings über jede einzelne Blüte vor Freude quieken kann) und mir das auch selber ins Bewusstsein zu rufen, wenn ich glücklich bin. Es also nicht nur so nebenbei und unterschwellig mitzubekommen, sondern genau hinzugucken und es abzuspeichern.

Und vorhin in der Küche, mit meinen Erdbeeren und dem bewussten Gedanken ‚oh guck mal, so viele kleine rote Glückskugeldingse auf einmal und das von Pflanzen, die du selber gepflanzt und betüdelt hast‘, kommt nicht dieses Glücksgefühl in mir hoch, sondern nur Tränen.

Jetzt sitze ich hier und merke, wie die Gedanken abdriften und dass ich gar nicht weiss, wo ich mit dem Blogartikel hinwill, weil ich mich eigentlich hingesetzt hatte, um von der Marmelade zu erzählen und den Erdbeeren und mir selber und dem restlichen Internet zu versichern, wie toll das ja alles ist und dass jetzt auch wirklich Sommer ist, weil ich ja noch nicht mal Socken trage und das wollte ich in meine Glückskonserven packen. Aber stattdessen kamen da gerade ganz andere Worte aus mir raus und ich weiss gerade nicht, ob das gut oder schlecht ist, glaube aber eher gut, weil ich damit mir gegenüber ehrlicher bin.
Es fällt mir so unendlich schwer, diesen Satz ‚es geht mir schlecht‘ zu formulieren – mir gegenüber oder sonst jemandem gegenüber – und ich merke das daran, dass ich mich hier auch gerade erst mal direkt wieder korrigieren musste, weil ich das viel schwächere ‚es geht mir nicht gut‘ geschrieben hatte.

Ich habe immer Angst, wenn ich dieses Schlechtgehen zugebe, dass man von aussen nur ein Jammern wahrnehmen kann. Dass es wirkt, als würde ich mich lieber hinsetzen und mich selber bemitleiden als aktiv etwas dagegen zu unternehmen. Und so möchte ich weder gerne sein, noch wahrgenommen werden. Dann sage ich mir wieder, dass es mir schon hilft, mich weiterbringt, das (Auf-)Schreiben, weil ich mich damit selber zwinge, mich damit auseinanderzusetzen und mal im blind_weitermachen_als_wäre_nichts innezuhalten und dass es, wenn es denn hilft, ja eigentlich völlig egal sein müsste, sollte, könnte, wie es wirkt oder auch nicht.

*

Und dann, als ich gerade soweit getippt habe, ruft der beste Freund an und nach einer Stunde am Telefon und dem Zugeben, dass es mir schlecht geht, fühlt es sich in mir gerade viel aufgeräumter an als noch vor einer Stunde, weil ein paar Dinge an ihren Platz gepurzelt sind und ich zumindest bei der Frage, weswegen das gerade alles so ist, nicht mehr so ratlos bin. Mit ein bisschen Glück verliert diese Situation mit dem Verständnis dann auch wieder ein wenig ihres Schreckens.

*

Katja

Mit Quieken

Manchmal frage ich mich, wie chaotisch mein Blog wohl von aussen wirken mag bei diesem seltsamen auf und ab und dem kruden Mix aus Rezepten, Fotos, Erlebnissen, Büchern und immer wieder meinem merkwürdigen Kopfgeschwurbel und ohne dass es irgendeinen roten Faden gäbe. Aber dann fällt mir wieder ein, dass ich selber der rote Faden bin, weil alles das Teile und Seiten von mir sind und weil in mir eben gleichzeitig dieses Kopfkino abläuft während ich koche und weil ich im einen Moment noch völlig genervt und in Gedanken unterwegs zum Einkaufen bin und im nächsten völlig euphorisch das Auto an den Straßenrand bugsieren muss, um quiekend (naja, nicht immer echt, aber zumindest gedanklich) diese wahnsinnige Blütenpracht nochmal zu knipsen bevor alles wie Konfetti zu Boden gesegelt ist. Oh und dann auch noch die paar Schritte um zum Rapsfeld zu flitzen – soviel Zeit muss sein. (Klick macht groß.)

Katja

Memo an mich

Erstaunlich, wie leicht mir die Dinge wieder abhanden kommen, die ich längst mal erkannt hatte und wie mich dann aber plötzlich die Erkenntnis trifft, dass sie immer noch funktionieren. Heute wieder mal so geschehen.

Dass es mir gut tut, Dinge mit den Händen zu machen, dass mich das erdet, das weiss ich eigentlich schon recht lange und darüber hatte ich auch schon mal ausführlicher gebloggt. Speziell auf’s Brot backen, auf’s Teig kneten, trifft das immer zu. Das ist etwas, was mich sehr runterholt, wenn ich wieder mal dem Kaninchen aus Alices Wunderland gleich, in ständiger (selbstgemachter) Hektik kopflos durch mein Leben stolpere.

Das habe ich ziemlich lange, ziemlich konsequent gemacht und dann habe ich dooferweise irgendwann damit aufgehört und nur noch sehr selten Brot selber gebacken. Im letzten Jahr bin ich durchschnittlich nicht mal auf eines pro Monat gekommen. Und das, obwohl eigentlich dieses Wissen in meinem Kopf ist, dass Hefeteige kneten etwas ist, was für mich gut funktioniert, was mir sehr gut tut.

Am Wochenende wollte ich zum ersten Mal, seit sehr langer Zeit, Flammkuchen machen. Und dann war ich gestern den ganzen Tag drömmelig und hing durch und hab’s auf heute verschoben und heute war ich aber immer noch total lustlos und hätte am liebsten wieder was anderes gemacht. Ich musste mich also selber mehr oder weniger zwingen, in die Küche zu trotten und die Hefe in eine Schüssel zu zerkrümeln. Und dann fing ich an zu kneten und alles war wieder anders und da. Ich merkte quasi direkt, wieviel von dieser seltsamen Stimmung, die mich heute gefangen hatte, durch das Kneten aus mir raus wanderte und stand in meiner Küche und dachte, dass ich ganz schön bescheuert bin, solche Dinge, die ich über mich weiss, immer wieder so zu verdrängen. Wie doof das ist, nicht besser auf mich aufzupassen und die Dinge häufiger zu tun, die mir gut tun.

Und damit ich’s nicht direkt wieder vergesse/verdränge/whatever, schreibe ich’s jetzt hier auf: Hefeteige kneten macht mich froh, Brot backen macht glücklich! Ich mache das jetzt wieder häufiger!

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Katja