Fettlogik überwunden!

Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich hier vor mittlerweile 8 Jahren zum ersten Mal offen über meine Depressionen gebloggt und sie beim Namen genannt habe und an das Zittern meiner Hände beim Schreiben des Artikels und noch mehr beim Veröffentlichen. Gerade sitze ich wieder mit ähnlichen Gefühlen vor der Tastatur, fange an zu schreiben und bin noch nicht sicher, ob ich mich am Ende trauen werde, den Text wirklich zu veröffentlichen, denn das persönliche Tabuthema, das ich heute anpacke ist für mich noch ein Stück größer und gewaltiger als die Psyche – ich will hier zum ersten Mal offen und öffentlich über meinen Körper schreiben.

Ich war als Kind schon das, was man – freundlich formuliert – moppelig nennt und noch immer brennt manchmal heißglühend die Erinnerung in meinen Wangen über Hänseleien, die ich in diesem Zusammenhang aushalten musste. Aber, wenn man meine Familie kennt, weiß man welches Schicksal mir blühte (zumindest dachte ich das bis vor gut einem Jahr), denn ausnahmslos alle waren und sind stark übergewichtig und adipös. Dass mir also bei den schlechten Genen, Ähnliches bevorstand war mir schon in meiner Jugend klar und so war es auch. Ich kann mich an keine genauen Gewichtsmarker erinnern, nur daran, dass es im Laufe der Jahre und Jahrzehnte immer mehr wurde. Daran änderten auch unzählige Diäten nichts. Also natürlich änderten sie etwas: in den 90ern zB, nahm ich mit Hilfe von Trennkost enorm ab, mehr als 20 kg waren es damals und ich dachte, dieses Mal hätte ich es tatsächlich geschafft. Bis ich dann irgendwann wieder anfing, ’normal‘ zu essen und dann geschah, was geschehen musste: ich nahm nicht nur die verlorenen 20 Kilo wieder zu, sondern noch ein paar zusätzliche obendrauf. Und so ging das weiter und fort. Diät 10 Kilo runter, 15 rauf, 25 runter 35 rauf etcpp. Irgendwann las ich vom Hungerstoffwechsel und dass der Körper nach Diäten – weil der Stoffwechsel ja auf ein Minimum runtergefahren ist – umso schneller die verlorenen Kilos wieder anhäuft und auf einmal ergab auch das einen Sinn. Ganz klar, bei meinen Genen und meinem, durch zahllose Diäten so dermaßen ruinierten Stoffwechsel, konnte ich ja gar nicht abnehmen!

Probiert habe ich es natürlich trotzdem. Mit üppigem Frühstück direkt nach dem Aufstehen, obwohl ich morgens gar keinen Hunger habe, um den Stoffwechsel für den Tag vorzubereiten und in Gang zu bringen. Mit Weglassen aller Nahrung nach 17 Uhr. Mit Ananas, wegen der Enzyme, durch die man abnehmen sollte, aber von der ich immer nur ein säureverätztes Zahnfleisch davon trug, wenn ich sie in größeren Mengen aß. Mit tagelang nur Obst. Mit täglich Steak. Mit komischen Shakes, die den Hunger bremsen sollten. Lediglich Weightwatchers habe ich mir nie angetan.

Nichts half. Ich verbrachte mein Leben damit, mich selber (was die, die hier regelmäßig lesen, bereits wissen) und aber auch meinen Körper zu hassen. Irgendwann vor 4 oder 5 Jahren schwappte dann zum ersten Mal etwas über Fatacceptance in meine Wahrnehmung und je mehr ich darüber las und dass es unzähligen Menschen so ging wie mir, desto faszinierender fand ich die Idee, endlich Frieden mit meinem Körper zu schließen. Ich wollte nicht mehr weiterdiäten, ich wollte mich lieber so mögen und akzeptieren, wie es das Schicksal für meinen Körper vorgesehen hatte. Der Beschluss war einfach, die Umsetzung grandios schwer, denn _eigentlich_, wenn ich ehrlich zu mir selber war, wollte ich immer noch lieber – wenn vielleicht auch nicht wirklich schlank, dann doch wenigstens weniger übergewichtig, sein. Wenigstens in einem solchen Maß, dass ich mich nicht mehr so auffällig herausstechend fühlen müsste, denn Auffallen war das, was ich immer um jeden Preis vermeiden wollte.

Schnitt.

Im Frühjahr 2016 las eine Freundin ein Buch – „Fettlogik überwinden“ von Dr. Nadja Hermann (Link zu Amazon) (im Web meist besser bekannt als @erzaehlmirnix) und weil Svü, dem Himmel sei’s gedankt, viel offener mit dieser Art Themen, die für mich so schwierig anzufassen sind, umgehen kann, erzählte sie für die nächsten Wochen und Monate von ihrer Abnahme mit Hilfe des Buchs und sie tat das in einer solch faszinierenden Begeisterung, dass ich neugierig wurde.

Ungefähr zeitgleich zogen wir um und durch den vielen Stress, die viele zusätzliche Bewegung und das Kisten durch die Gegend wuchten, nahm ich – eher aus Versehen – die ersten 3 Kilo ab. Die wollte ich nicht direkt wieder drauf bekommen (und schon gar nicht mit weiteren zusätzlichen), also fing ich – immer noch zögerlich – an, selber das Fettlogik-Buch zu lesen. Zögerlich und skeptisch war ich vor allen Dingen, weil ich einige der Comics zum Fettlogikthema von erzählmirnix kannte und mich bis dato immer ziemlich angegriffen davon gefühlt hatte. Klar, die hatte ja leicht reden, jeder kann abnehmen, blabla, die hatte ja nicht meine ’schlechten‘ Gene, kannte meine Familie nicht, hatte ihren Stoffwechsel vielleicht nicht so durch zahllose Diäten ruiniert.

Das Lesen war in erster Linie eines: verdammt schmerzhaft.

Die Erkenntnis, dass ALLES, woran ich, wenn es um mein Gewicht ging, so krampfhaft geglaubt hatte, auf Fettlogiken basiert, die durch Studien widerlegt bzw. entkräftet sind und nicht meine Gene, sondern mein Essverhalten Schuld an meinem Übergewicht waren, traf mich hart. Hatte ich doch in meiner Wahrnehmung eigentlich nie so sehr viel gegessen. Und überhaupt kein Junkfood, kein Convenience, immer nur gesundes Zeug, frisch gekocht, viel Salat und Gemüse. Dass man auch mit frischer, selbstgekochter Nahrung jede Menge Kalorien zu sich nehmen kann, wenn man alles in leckerer Butter und Olivenöl schwenkt – so logisch das eigentlich ist, es war mir nicht in diesem Ausmaß bewusst. 100 fucking Kalorien für einen einzigen Esslöffel meines innig geliebten und doch so gesunden Olivenöls – da hätte ich häufig, statt Salat zu essen, auch einfach direkt Schlagsahne löffeln können.

Die zweite (zunächst bittere Vermutung, die mittlerweile eine feste) Erkenntnis (ist) : möglicherweise neige ich zu emotionalem Essen. Stress, Aufregung, Kummer – davon hatte ich in den letzten Jahren mehr als genug. Schokolade im Haus hatte ich auch immer mehr als genug. Dass ich sie meistens nicht bewusst, sondern in emotionalen Stresssituationen völlig unbewusst gegessen hatte – das fiel mir erst auf als ich irgendwann vor ein paar Monaten bemerkte, dass ich es nicht mehr tue und mittlerweile völlig frei bin von emotionalem Essen, weil ich es durch Bewegung in solchen Stresssituationen ersetzt habe. Statt Schokolade zu essen, bewege ich mich und laufe (zugegebenermaßen manchmal wie eine Gestörte, einfach nur im Kreis durch die Wohnung). Wie gesund das sein mag, sei mal dahingestellt, aber die Bewegung tut meinem Körper in jedem Fall besser als die Kalorien der Schokolade.

Die dritte Erkenntnis: Ich bin durch mein Essverhalten dick geworden. Ich habe durch Diäten abgenommen. Ich habe danach wieder ’normal‘ gegessen – aber eben das Normal, das ich für normal hielt. Dass ich durch das gleiche Essverhalten, mit dem ich (nicht nur) einmal dick geworden war, immer wieder dick werden würde – das ist so bestechend logisch, dass ich Dussel ein Buch brauchte, um drauf zu kommen. (insert Facepalm here)

Was das Lesen in zweiter Linie mit mir machte: es gab mir zwar vollumfänglich die überaus schmerzhafte Verantwortung für meinen Körper, ABER (und das ist ein großes Aber): als diese Erkenntnis bis zum Grund gesickert war, reifte daraus auch jene, dass ich damit aber auch die Macht in der Hand habe, etwas daran zu ändern und endlich (ENDLICH!) nicht mehr Opfer meiner Gene und meines kaputten Stoffwechsels bin, sondern ich alleine entscheiden kann, welches Gewicht ich haben möchte.

Was mich aber letztendlich tatsächlich dazu brachte, nach dem Lesen, noch ein einziges Mal in meinem Leben, einen Diätversuch wagen zu wollen, war der ausführliche Teil über die gesundheitlichen Risiken des Übergewichts. Das kannte ich schon, von meiner langen Zeit als Raucherin, dass ich vor den Gefahren durch Rauchen, immer die Augen lieber geschlossen ließ und mich erst, nachdem ich aufgehört hatte, intensiv damit beschäftigen konnte, was ich meinem Körper da so lange an Schaden zugefügt hatte. Beim Fettlogik-Buch quälte ich mich sehenden Auges durch den Teil und am Ende stand für mich fest, dass ich bitte gerne mit 50 fitter sein möchte als ich es mit 25 war. Wenn das kein Ansporn ist!

Dazu kam, dass das Buch für mich zur genau richtigen Zeit kam – nämlich jener, wo ich in harter Arbeit in meiner Psychotherapie endlich lerne, gut für mich selber zu sorgen und mich selber nicht mehr zu hassen, sondern mich anzunehmen und lieb zu haben (es zumindest zu versuchen und daran zu arbeiten). Wie sehr mein Äußeres immer Spiegelbild meines inneren Selbsthasses gewesen ist – auch das ist mir erst in dieser Phase aufgegangen. Und so hielt mich in den letzten Monaten häufig der Gedanke vom Essen ab, dass ich mir durch’s Nichtessen zB von Schokolade gerade etwas Gutes tue, weil ich endlich gut für meinen Körper sorge. Eben genauso nur genau andersrum, wie ich früher dachte, ich würde mir selber etwas Gutes tun oder mich mit Nahrung belohnen oder trösten.

Und genauso nur genau andersrum funktioniert auch das mit der Wirkung: durch meiner Selbstliebe habe ich es endlich geschafft, mir einen für mich liebenswerten Körper „zuzugestehen“ und zu erarbeiten, durch den Körper, in dem ich mich endlich wohler fühle, geht es auch der Psyche besser und das Selbstbewusstsein profitiert davon.

Und um jetzt endlich den Bogen zu schlagen und auf den Punkt zu kommen, wieso ich ausgerechnet heute dieses, für mich seit meiner Kindheit so schambesetzte und schmerzhafte Tabuthema anpacke und hier darüber erzähle:

Ich bin heute Morgen zum ersten Mal in meinem kompletten Erwachsenenleben mit Normalgewicht aufgewacht. Hinter mir liegen 15 Monate, in denen ich meine Fettlogiken überwunden habe und ein Minus von 50 Kilogramm. Was jetzt noch folgt ist die Kür: weitere 8 Kilo würde ich gerne verlieren, dann bin ich bei mittlerem Normalgewicht, primär will ich aber – denn inzwischen habe ich vor einem halben Jahr auch zum ersten Mal in meinem Leben Spaß an Sport gefunden – fit werden und noch ein paar Prozent Körperfett gegen Muskelmasse austauschen. Und in meinem Körper wohlfühlen will ich mich – zum ersten Mal in meinem Leben. So nah wie jetzt war ich noch nie daran. Mein Körpergefühl ist ein völlig anderes und erst jetzt, wo ich zB am Donnerstag in Erfurt stolz die 70 Stufen der Domtreppe hochgestiegen bin, dabei reden konnte und oben angekommen kein bisschen aus der Puste war, ist mir bewusst, wie eingeschränkt ich vorher mein ganzes Leben lang war und wie großartig und wunderbar dieses neue Körpergefühl ist.

Danke, liebe Nadja. Ich könnte dich seit 15 Monaten fast täglich vor Dankbarkeit küssen! Du hast mir ein völlig anderes Leben geschenkt!

Katja

 

Svü sagt, da fehlt noch’n Foto und ich soll das mit dem Pulli nehmen und da ich sie heute ganz besonders lieb habe, gibt es hier tatsächlich eines. Da hab ich mal reingepasst.

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19 Kommentare zu “Fettlogik überwunden!

  1. Guten Morgen Katja (die hat ja)
    wirklich mal ganz ordentlich zugeschlagen mit ihrem langen Brief. Und so schön formuliert und sowieso sehr interessant.
    Weil du die genetischen Voraussetzungen in`s Spiel bringst und da ist mehr dran, als wir allgemein Wissen, denn sogar das Essverhalten hat bei dir sehr wahrscheinlich einen sog. epigentischen Hintergrund. Und wenn du den `geknackt´ hast, dann hast du wirklich was geleistet.
    Aber lass dir nur Zeit, mit noch mehr Kilo weniger, denn eigentlich kommt es gar nicht darauf an, wie viel du isst, sondern was du wie oft isst. Und dass unsere Nahrungsmittel aus dem Supermarkt alle mit reichlich Zucker u.v.m. durchsetzt sind, weißt du ja auch.
    Finde jetzt dein `Wohlfühlgewicht´, das ericht doch!!
    Jürgen aus Loy (PJP)
    P.S. Hab mindestens 10 Kilo abgenommen durch Umstellung der Nahrung und kann jetzt richtig zuschlagen und auch mal sündigen zwischendurch.

  2. Herzlichen Glückwunsch und RESPEKT…das hast du super hinbekommen.
    Bei mir sind es jetzt fast 20 kg weniger…aber mindestens 30 sollen noch dazu kommen. 😉

  3. Pingback: Mein Stern explodiert – Gedankensprünge

  4. @Svü: :*

    @Armin: *knickst* 🙂

    @whateveralter: Vielen Dank! Mir hat das Buch tatsächlich ein paar unbequeme Wahrheiten offenbart, mir aber auch endlich und zum ersten mal im Leben die Hoheit über meinen Körper geschenkt!

    @Anne: Aber sowas von! \o/

    @Ludwig: Danke! Ich wünsche dir viel Erfolg!

    @Jürgen: Äh. Danke?

    @Rüdiger: 🙂 Merci.

    @Klaus: Danke!

    @Rebekka: :)!

    @Juli: :*

    @Caro: Klasse! Ich wünsche dir alles Gute und vor allem Geduld und Durchhaltevermögen für die nächsten 30 kg! 🙂 (Hast du auch FLÜ gelesen?)

    @Anette: Dankeschön! 🙂

  5. Hallo & Herzlichen Glückwunsch!

    Ich habe Anfang des Jahres das Buch für mich entdeckt und mit dem neuen Bewusstsein innerhalb von fünf Monaten 20kg verloren. Durch Prüfungen und „Urlaub“ war ich danach jedoch total aus dem Tritt geraten und konnte das Gewicht lediglich halten. Gerade heute habe ich wieder angefangen es mir anzuhören, einfach um mich wieder daran zu erinnern und die Motivation zu entwickeln die ich am Anfang des Jahres hatte, ein paar Kilos sollten schon noch runter 🙂

    Ich freue mich sehr, dass du es geschafft hast – den Rest wirst du bei der Einstellung locker noch los. Am wichtigsten ist jedoch die Erkenntnis – die Tatsache, dass man sich ungeachtet der kg lieben darf – aber es länger tun kann, wenn man die kg reduziert.

    Viel Erfolg weiterhin!

  6. Pingback: Wenn ein Buch ein Leben verändert. | Die Zeit ist reif für massenweise Mut...

  7. Pingback: Irgendwas mit Reißleinen und Fettlogik – Gedankensprünge

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