Über Müsstemals und Möchtegerns

Im letzten Jahr (vielleicht auch schon länger?) ist das vorherrschende Gefühl bei mir, keine Zeit zu haben, dauernd gehetzt zu sein und gar nicht alles zu schaffen, was ich so schaffen müsste.

Und da liegt auch schon der Knackpunkt, denn die meisten Dinge, die ich so schaffen müsste, sind keine, die ich wirklich dringend schaffen muss, sondern mein meister Stress ist genauso hausgemacht, wie die vielen Marmeladen, die ich so koche oder zumindest gerne kochen würde – aber dann komme ich doch wieder nicht dazu.

Und je mehr ich mich in diesem ‚müsste‘ verheddere, zu weniger komme ich tatsächlich, weil das Gefühl der Überforderung – nicht inhaltlich, aber was Pensum vs. Zeit angeht – mittlerweile ein chronisches ist.

Seit etwa fünf Wochen, seit ich aus Spanien zurück bin, habe ich jetzt mal ausprobiert, wie es sich ohne todo-Liste anfühlt.

Das fällt mir nicht so leicht, denn ich bin ein Listenmensch und erst recht, wenn es um meine Todos geht. Vor einigen Jahren habe ich angefangen sehr akribisch Liste zu führen, weil ich gemerkt habe, dass es mir gut tut, Dinge darauf abzuhaken. Damit konnte ich mir selber vor Augen halten, dass ich ja doch was auf die Reihe bekommen habe – an Tagen, an denen es sich eigentlich so anfühlte, als bekäme ich nichts hin. An ganz schlechten Tagen habe ich mich selber ausgetrickst und damit motiviert, dass ich einzelne Dinge kleinschrittiger notiert habe.

Seit schätzungsweise 2 Jahren habe ich meine todo-Listen nur noch elektronisch geführt. Das war zwar nicht mehr ganz so gut wie das Durchstreichen auf Papier, dafür kann Wunderlist, das ich dafür verwende, aber seit einiger Zeit auch wiederkehrende Tasks verwalten und man muss sie nicht jedes Mal einzeln reinfüttern (und es ist auch auf den diversen Geräten nutzbar und synchronisiert die Daten).

So kam es, dass ich auch die meisten täglich wiederkehrenden Dinge wie zB das Küche aufräumen, was ja immer anfällt, wenn man fast täglich kocht, auf die Liste packte. Dazu kommen alle Dinge, die mir irgendwann mal eingefallen sind, dass ich sie machen könnte / mal machen müsste und mittlerweile habe ich mehr als 20 Unterlisten angesammelt und insgesamt tummeln sich da deutlich mehr als 150 Aufgaben. Die unkomplizierte Möglichkeit dort Listen anzulegen führt dazu, dass ich das auch dauernd gemacht habe und jetzt habe ich dort so einen großen Wust an unerledigtem Kram, der mich jedesmal in geballter Summe anspringt, wenn ich Wunderlist aufmache.

Eigentlich also kein Wunder, dass ich dauernd das Gefühl habe, überfordert zu sein und niemals alles schaffen zu können, was ich so gerne schaffen wollen würde.

Die letzten Wochen jetzt, ganz ohne todo-Liste haben mir, glaube ich zumindest, gut getan. Besser als die Zeit davor auf jeden Fall. Alles, was dringend ist, habe ich auch so erledigt und mir ist zumindest nichts aufgefallen, was ich dadurch komplett vergessen hätte.

Ich bin ausserdem aufmerksamer geworden dahingehend, dass ich meinen ‚müsste ich ja mal‘-Reflex ein bisschen unterdrücke. Als Corina vor einiger Zeit Quitten gesammelt und verabeitet hat, war mein erster Impuls, am nächsten Tag auch losrennen zu müssen und zu schauen, ob ich am Rhein, wo so viele öffentliche Bäume stehen, noch welche bekomme. Und das ist typisch für mich dieser Reflex. Und der setzt unabhängig davon ein, ob ich gerade Zeit dafür hätte, Quitten einzusammeln und zu verarbeiten, oder ob ich mir damit (unnötigen) Stress mache. Dieses Mal ist es mir aufgefallen, noch bevor ich mit einem Eimer bewaffnet am Rhein war und ich habe mich bewusst entschieden, dass ich zwar vielleicht mal (lies: irgendwann mal) Quittengelee kochen könnte, aber beim besten Willen nicht in diesem Jahr dringend kochen müsste und schon mal gar nicht kochen muss.

Von der wunderbaren Welt des Wissens bekam ich einen ebenso guten Impuls wie den mit den Quitten, als sie letztens sinngemäß irgendwo schrieb, dass bei all dem ‚müsste mal‘ der Spaß ganz verloren geht und genau das trifft es bei mir auch sehr gut.

Es gibt wahnsinnig viele Dinge, die ich gerne mache oder auch, die ich gerne mal machen und ausprobieren würde. Aber dadurch, dass ich sofort das Gefühl habe und das auch sprachlich so verarbeite, dass ich die Dinge mal tun müsste, geht die Freude unterwegs irgendwie zwischen dem Gefühl gehetzt zu sein und eh nicht alles zu schaffen verloren.

Ich bin – wenn das auch ganz andere blöde Schattenseiten mitbringt und überhaupt durch die Schattenseiten erst ausgelöst wurde, aber das ist ja eine ganz andere Geschichte – momentan in der Lage, mir die meiste Zeit frei einteilen zu können und statt dass ich sie mit Dingen fülle, die mich erfüllen, verbringe ich gerade viel zu viel Zeit damit, mich gehetzt zu fühlen und in dem Gefühl festzuhängen, nichts auf die Reihe zu bekommen. Das muss dringend wieder anders werden und der Artikel ist vielleicht / hoffentlich ein Anfang damit; der Versuch, das erst mal in Worte zu fassen und im Kopf zu sortieren, damit ich es vielleicht auch im Alltag wieder besser sortiert bekomme, damit ich vielleicht meine Zeit (und auch und vor allem das Zeitgefühl) wieder besser in den Griff bekomme.

Und weil ich in den letzten 2, 3 Tagen schon wieder angefangen habe, mir todo-Listen auf Zetteln zu notieren, ist vermutlich auch der Zeitpunkt gekommen, an dem ich Wunderlist wieder mal öffnen sollte und radikal alles rauswerfen, an das ich ohnehin denke und auch alles, was so ein müsste/könnte ja mal Ding ist. Ich glaube, es gibt auch so genügend Müsste-und-Könnte-Mals, denen ich im Alltag begegne oder die mir dann schon einfallen werden, wenn ich die Zeit dafür habe – aber vor allem auch, wenn ich wieder ein bisschen mehr Ruhe und Raum im Kopf dafür habe. Und dann heissen vielleicht ein paar von ihnen auch wieder Möchtegerns statt Müsstemals.

Katja