Übers Lesen wieder mal

Vor ein paar Tagen, während ich eine Mail schrieb, ist mir zum ersten Mal in greifbaren Worten bewusst geworden, wie sehr sich verändert hat, was Lesen für mich bedeutet.

Ich habe in fast allen Phasen meines Lebens viel gelesen. Als Kind häufig mit Taschenlampe unter der Bettdecke, wenn ich längst hätte schlafen sollen und heutzutage manchmal drei-, viermal den gleichen Absatz, weil mir zwischendrin die Augen zufallen, weil ich eigentlich viel zu müde bin, aber unbedingt noch das Kapitel zu Ende lesen will.

Diese äusseren Dinge sind gleich geblieben, aber das was in mir passiert ist sehr anders.

Ohne es damals wirklich zu wissen, aber jetzt so rückblickend betrachtet, war Lesen früher für mich immer Flucht aus meinem ‚echten‘ Leben. Rein in die Geschichte, in die Phantasiewelt und alles, was wirklich ist, für eine Weile beiseite schieben und vergessen.
Heute ist das anders. Heute ist Lesen mir ein Anker im ‚echten‘ Leben geworden. In Phasen, wenn ich das Gefühl habe, dass alles wieder wankt, dass ich im Begriff bin, wieder in ein Tal der Depression zu rutschen, unruhig, nervös und fahrig, dann hilft es mir, wenn ich mich zwinge, mich mit einem Buch hinzusetzen. Dann hilft es, wenn ich mir die Ruhe zum Lesen nehme, denn dann wird alles ruhiger. Die Gedanken werden fokussiert, die Worte im Buch greifbar, geben mir Halt, der mir in den eigenen verworrenen Gedanken in diesem Moment fehlt. Ankommen bzw. Dableiben und Festhalten statt Flucht. Und das, obwohl ich nach wie vor beim Lesen komplett in Geschichten versinken kann. Das Versinken ist ein anderes geworden. Lesen ist anders geworden und das fühlt sich für mich gerade sehr richtig an.

Katja