Über die Schwierigkeiten für einen fast wildfremden Menschen Bonbons zu kaufen

Das Versprechen hatte ich ja zunächst eher leichtsinnig gegeben, nicht ahnend, vor welchen Schwierigkeiten ich demnächst stehen würde. Na gut, ich hätte einfach nachfragen können, was für Vorlieben er da hat, aber irgendwie wäre das schon ein bisschen feige gewesen. So stand ich also geschlagene 15 Minuten vorm Bonbonregal im örtlichen Supermarkt, mal diese Tüte mit den Multivitaminbonbons herausnehmend und voller Überzeugung denkend, dass er bestimmt ein Multivitaminbonbontyp sei und überhaupt kann man damit zu dieser Jahreszeit ja kaum einen Fehler begehen. Können wir da nicht alle diese Extraportion Vitamine gut brauchen? Und war er nicht kürzlich erst krank? Oder dann vielleicht doch lieber direkt ein richtiges Statement abgeben? Hustenbonbons! Die sind dann ja sicher noch angebrachter. Kritisch beäuge ich die Auswahl: ein Kräutermalztyp scheint er mir nicht zu sein, aber vielleicht ist das auch nur Wunschdenken, weil ich selber eine so krude Vorstellung davon habe, was für Menschen es sein mögen, die Kräutermalzbonbons mögen. Hm, Kirschminze? Nein, eher nicht. Salbei ist zwar hilfreich gegen Hustenreiz, erscheint mir dann aber doch zu phantasielos. Nein, Salbei könnte wirklich jeder. Oh hier! Wie wäre es mit Fishermans? Sicher ist er nicht zu schwach dafür. Nein bestimmt nicht. Und doch fehlt mir dann der entscheidende Funke, der das Bild des rauhbeinigen Seebären, das vor meinen Augen entsteht, aufleuchtend bestätigt. Nein, das auch nicht. Dann eher doch der ruhige und sanfte Geschichtenerzähler. Ich greife nach den Bonbons mit dem goldenen Einwickelpapier und muss an meinen Opa denken, obwohl der mir die nie schenkte, wenn ich auf seinem Schoß saß. Bei meinem Opa gab es immer diese türkisfarbenen Eisbonbons. Die Angewohnheit hatte er von seiner Mutter, meiner Uroma, die davon immer welche in ihrer Kitteltasche hatte, die sie großzügig an uns verteilte, weswegen ich heute noch den Geruch von Eisbonbons vertrauenerweckend finde. Mein Blick wandert sofort suchend über die Regale, wird fündig, wandert dann doch zurück zu den goldenen Bonbons, die ich noch in der Hand halte. Durch die Werbung der Marke bin ich so verdorben, dass ich automatisch an meinen, dann aber auch ganz generell an Großväter denken muss, wenn ich die Bonbons sehe. Aber nein, das will nun auch nicht mehr so recht passen in meiner Vorstellung. Ich packe die Tüte zurück ins Regal und schaue weiter. Fruchtig. Sahnig. Fruchtig und sahnig. Sauer. Leider nichts mit Ingwer. Plötzlich bin ich ganz sicher, dass er ein Ingwertyp sein muss und ich glaube, da hätte ich sofort zugegriffen. Aus irgendwelchen Gründen erscheint mir diese würzige Schärfe, vielleicht noch in Verbindung mit Zitrone, passend. Als Fruchtgummi kenne ich die Kombination, die ist himmlisch. Aber Fruchtgummi sind ja irgendwie doch keine Bonbons, damit würde ich es mir jetzt zu einfach machen. Also weiter das vorhandene Angebot sichten. Oh da! Kirschlutscher! Die kleinen mit dem grünen Pappstiel, die es in meiner Kindheit im Bäckerladen um die Ecke gab. Dort wurden sie nicht in Tüten zu mehreren angeboten, sondern standen in einer großen Bonboniere auf der Theke und die innig geliebte Bäckersfrau schenkte mir unzählige davon während meiner Kindheit. Ob er diese Lutscher auch aus seiner Kindheit kennt? Bestimmt. Wer kennt die eigentlich nicht? Ob die vielleicht das Richtige sind? Vielleicht wecken sie auch bei ihm freundliche Erinnerungen. Und auch, wenn das jetzt erfunden klingen mag, weil es passender kaum hätte sein können, ist doch wahr, dass genau während ich vorm Regal stehe und in diesen Überlegungen festhänge, ein Mädchen von vielleicht 8 Jahren daherkommt, mit geflochtenen Zöpfen, einer links, einer rechts und ohne Zögern greift sie zielsicher nach der letzten Tüte mit den Kirschlutschern. Irgendwie bin ich froh, dass ich sie noch nicht in der Hand hatte, bei der Kleinen sind sie sicherlich besser aufgehoben und ich hätte die Enttäuschung, die wohl auf das Fehlen der zielsicher ertasteten Tüte  gefolgt wäre, nicht verantworten wollen. So. Jetzt aber. Ohne weiter nachzudenken greife ich bestimmt nach der Tüte, die ich vorher schon einmal kurz in der Hand hatte. Die sollen es sein. Dunkel. Vielleicht ein bisschen geheimnisvoll. Nicht fruchtig. Nicht sahnig.

Erstaunlich und spannend, wie geschwätzig das Bauchgefühl sein kann, wenn man versucht, für einen fast wildfremden Menschen die richtigen Bonbons zu finden. Ich hoffe, ich liege nicht gar zu sehr daneben mit meiner Wahl!

Katja