Luft anhalten

Das schneidende Geräusch der Klingel dringt durch die Wohnung und ich zucke so sehr zusammen, dass mir das Buch aus der Hand fällt. Ruhig bleiben, durchatmen. Dann noch ein Klingeln. Die Angst schnürt mir plötzlich den Hals zu. Seit sie erzählt hat, dass die unerwartet vor ihrer Tür stand, löst die Klingel das bei mir aus. Ich versuche, mich selber zu beruhigen. Damit, dass ich weiter weg bin und dass sie hier ja auch keinen Telefonterror veranstalten, wie bei ihr. Aber in diesem Moment hilft das nichts. Ich wage kaum zu atmen während ich höre, wie es über mir klingelt, die Haustür geöffnet wird und es dann direkt an meiner Wohnungstür klingelt. Ich weiss nicht, wer davorsteht, traue mich nicht nachzusehen. Zwischen Klingeln eins und zwei hatte ich durch den Spion geguckt. Vorm Milchglas der Haustür, die genau gegenüber liegt sah man nur eine Silhouette. Konnte das der Vermieter sein? Egal. Den konnte ich jetzt genauso wenig, fast noch weniger, ertragen.

Ich merke, wie sehr diese Sache mir Angst macht. Es fühlt sich wieder wie vor ein paar Jahren an, als jedes Telefonklingeln, jedes Klingeln an der Tür das mit mir gemacht hat. Gerade wird mir erst richtig bewusst, wie sehr sich das eigentlich geändert hat in den letzten Jahren. Wie ich ohne mit der Wimper zu zucken dem Postboten öffne, ihn vor einer Weile sogar einmal in die Wohnung gelassen habe als er sich etwas notieren wollte, was nur daher rührte, dass wir immer ein paar Worte Smalltalk halten. Wie ich fast problemlos jederzeit die Tür öffne, wenn es klingelt. Ich wohne unten, habe die untere Klingel. Jeder, der ins Haus will klingelt hier. Stromableser, Schornsteinfeger, Heizungsmonteure, Paketboten auf der Suche nach früheren Bewohnern des Hauses, Nachbarn, die den Schlüssel vergessen haben. Jeder. Und das alles macht mir nichts (mehr) aus. Lässt mich zur Tür gehen, freundlich Auskunft geben, fremde Menschen zum Stromzähler führen.

Und dann diese Nachricht ‚Die stand bei mir vor der Tür.‘ und auf einmal fühlt sich alles anders an. Das kann hier auch passieren. Der geschützte Raum ist angreifbar.

Und mit Abstand betrachtet wäre das eigentlich gar nicht so schlimm. Ich mache ja nichts falsch, nichts unrechtes, ich bin nur vorsichtig und vertraue diesen Menschen nicht blind sondern höre auf meinen Bauch (und meinen Anwalt). Und ich hätte schon ein paar passende Dinge, die ich gerne sagen würde und mittlerweile sind die wenigsten davon noch freundlich und primär reisse ich mich zusammen, um die ganze Sache nicht noch weiter zu eskalieren, nicht noch anstrengender zu machen. Aber dieser Druck, der da erzeugt wird, mit dem kann ich nicht umgehen. Der macht mich klein, lässt mich zittern vor Angst. Das ist ein bisschen so wie das ungute Gefühl, wenn man plötzlich ein Polizeiauto im Rückspiegel sieht, dieses latente Gefühl etwas falsch zu machen, auch wenn das gar nicht so ist. Die pure Anwesenheit im Rückspiegel erzeugt diesen Druck und dieses ungute Gefühl. So, nur viel stärker fühlt sich jede Mail zu dem Thema an, die mein Postfach erreicht. Um 25 Jahre zurückgeworfen, die die Erwachsenen, die mich wie das dumme Kind behandeln, das ich damals noch war als wir den letzten Kontakt hatten und ich, die ich bereitwillig in diese Rolle schlüpfe, zumindest emotional, zumindest in mir drin, zum Glück dringt das nicht zu denen. Alles, was sich anders anfühlt, kostet immense Kraft und Auflehnung gegen mich selber.

Ich mache deutlich mehr als drei Kreuze in den Kalender, wenn diese Sache und diese andere Sache und dann noch jene Sache ausgestanden sind. Ich mag so gerne wieder mal (durch-)atmen.

Katja