Too much information

Ich bin Katja. Ich habe Depressionen und eine Angststörung. Eines meiner Probleme, welches letztere mit sich bringt ist, dass es eine riesige Hürde für mich bedeutet, Menschen in meine/unsere/die Wohnung zu lassen. Das betrifft sowohl Fremde als auch die meisten Menschen, die ich schon eine Weile kenne. Ganz spontan fallen mir nur sehr wenige Ausnahmen ein, bei denen mir das leicht (oder wenigstens nicht allzu schwer) fällt. Und auch wenn ich mir häufigere Besuche meiner Familie wünsche, fällt es mir selbst bei so nahestehenden Menschen nicht leicht.

Meistens lässt sich das ganz gut umgehen. Ich benutze nie den Türöffner sondern gehe immer, wenn es klingelt über den Flur zur Haustür und öffne dort. Da lassen sich diverse Post- und Paketboten, Stromzählerableser, Zeugen Jehovas ganz gut direkt ‚abfertigen‘ und ich muss mich nicht weiter damit auseinandersetzen. Der Heizungsableser ist komplizierter, aber das ist seit 8 Jahren der gleiche, irgendwie geht das dieses eine Mal pro Jahr und der Mitdings versucht,  einzurichten zum angekündigten Termin anwesend zu sein. Das ist zum Glück immer irgendwann am frühen Abend, wo das nicht so kompliziert ist.

Bei Menschen, mit denen ich mich verabrede / die ich hierher einlade, habe ich immer ein bisschen Zeit, um mich darauf einzustellen, jemanden rein zu lassen. Es wird einfacher, wenn ich vorher Zeit habe, mich damit zu beschäftigen. Bei den meisten Menschen wird es auch leichter, wenn sie erst mal ein paar Mal hier gewesen sind.

Bei manchen Menschen kann ich das (irgendwann) einigermaßen offen kommunizieren, wenn ich länger mit ihnen zu tun habe. Als hier vor ein paar Jahren in beide Wohnungen neue Nachbarn eingezogen sind, mit denen ich mich auch ausführlicher unterhalte als nur im Treppenhaus zu grüßen, war es mir total unangenehm, dass ich immer an der Wohnungstür stehen geblieben bin und niemanden hereingebeten habe. Umgekehrt wäre es mir so auch am liebsten gewesen, aber das hat die Nachbarin mir schon direkt beim ersten Mal als ich hochging, um etwas zu besprechen, abgewöhnt. Als ich vor ihrer Tür bleiben wollte hat sie mich lautstark reinbeordert, damit die Katze nicht abhaut.
Danach war es mir noch unangenehmer, sie hier im Gegenzug vor der Tür stehen zu lassen. Zudem sie ungefähr 20 Mal häufiger vor meiner Tür steht als ich vor ihrer. Irgendwann habe ich mir ein Herz gefasst und ihr erzählt, weswegen ich sie nie hereinbitte und dass mir das wirklich mächtig schwer fällt. Ich weiss selber nicht genau, wieso es einfacher für mich ist, das zu erzählen, aber es lässt den für mich so wichtigen Schutzraum der Wohnung geschützt. Ich erzähle es und kann dann quasi direkt wieder dort in Deckung gehen und brauche für die Zukunft nicht mehr dauernd zu befürchten, jemand würde in diesen Raum ‚eindringen‘ wollen, der nicht hingehört. Sie hat darauf äusserst verständnisvoll reagiert und seitdem stand sie nach dem Klingeln auch nie mehr direkt mit der Nase vor der Tür (was mich immer erschreckt hat), sondern einen Meter oder weiter von der Tür entfernt im Flur, klar signalisierend, dass sie nicht erwartet, dass ich sie reinlasse. Dass sie diese Macke so respektiert und das damit zeigt, rechne ich ihr hoch an.

Dann gibt es aber noch die Situationen, bei denen ich nicht recht weiss, wie ich mich verhalten soll. In einer solchen stecke ich gerade und auch wenn es eigentlich kein drängendes Problem ist und ich eine tatsächliche Entscheidung, wie ich vorgehen möchte, aufschieben kann, spukt es mir doch permanent im Kopf herum.

Ich habe hier einen kaputten Behälter des teuren Kunststoffschüsselherstellers, der seine Produkte nur auf speziellen Veranstaltungen verkauft und 30 Jahre Garantie darauf gibt. Dieser spezielle Fehler tritt bei der Behälterart häufiger auf und das wurde bisher auch anstandslos ausgetauscht. Ich mag das Teil und die Sachen sind teuer genug, dass ich es auch dieses Mal gerne umtauschen würde. Ich suchte mir also auf deren Webseite eine ortsansässige Mitarbeiterin und wollte nachfragen, ob diese Dosen bei jenem Fehler immer noch anstandslos getauscht werden und ob sie das für mich durchführen könnte. Die erste Hürde war, dass ich entweder hätte anrufen können (was ich ja auch nicht gut kann) oder per Kontaktformular Kontakt aufnehmen. Bitte, wer hat denn heutzutage noch Kontaktformulare, bei denen zwar Adresse und Telefonnummer Pflichtangaben sind, ohne die man das Formular nicht absenden kann, aber die eMail-Adresse ist optional? Mich lässt das nichts Gutes ahnen, über die Art und Weise, wie die Antwort erfolgen wird und ich war froh, doch noch die (Firmen-)eMail-Adresse der Dame ausfindig zu machen. Zudem ich von früher weiss, dass die Mitarbeiterinnen gerne mal einfach vor der Tür auftauchen statt anzurufen, falls man versucht hat, Kontakt aufzunehmen. Weil es im persönlichen Gespräch schwerer fällt, sich nicht zu einem Verkaufsabend auf dem heimischen Sofa überreden zu lassen.

Ich mailte ihr also, gab keine meiner Kontaktdaten (bis auf die Absendermailadresse) preis, fragte wegen des Umtauschs und bekam als Antwort:

Das mit den Umtausch ist heute noch so. Gerne hole ich es mir bei Ihnen ab und besorge Ihnen das neue. Von wo kommen Sie denn? Wann würde es Ihnen am besten passen?

Seitdem ringe ich mit mir.

Wenn ich einfach frage, ob ich nicht auch bei ihr vorbeikommen kann, ohne meinen Wunsch näher zu begründen, fühlt sich das irgendwie sehr schräg an und ich fühle mich unhöflich, so auf ihr freundliches Angebot zu reagieren. Ich habe immer das Gefühl, ich muss solche Dinge erklären, eine Begründung liefern. Anders fühlt es sich an, als würde ich jemanden vor den Kopf stoßen, der freundlich zu mir war. *soifz*

Ihr einfach meine Adresse geben und mich darauf einlassen, möchte ich aber auch nur äusserst ungerne. Da sträubt sich so viel in mir.

Es sträubt sich aber auch alles in mir, mir eine Ausrede auszudenken und ihr diese zu präsentieren. Ich kann das einfach nicht. Ich bin viel zu offen und ehrlich, als dass es mir leicht fiele, Menschen bewusst anzulügen.

Aber ich käme mir auch schräg dabei vor, wenn ich ihr schreiben würde, dass ich lieber bei ihr vorbeikäme, weil ich Schwierigkeiten damit habe, fremde Menschen in meine Wohnung zu lassen…

Natürlich will ich mich nicht mehr wegen der Depressionen und allem was damit zusammehängt verstecken und dieses Tabu aufbohren, wo immer ich die Gelegenheit dazu habe. Aber es kommt mir wie eine Überinformation vor, das in diesem Rahmen zu erzählen. Ich hatte mit dieser Frau bisher Kontakt über eine Mail und ihre Antwort darauf. Ihr jetzt ungefragt und -gebeten so persönliche Details zu erzählen, wo es doch nur um eine Kunststoffdose geht, kommt mir schräg vor.

Mir ist bewusst, dass das eine total banale Sache ist, bei der es sich überhaupt nicht lohnt, viel Energie zu verschwenden. Im Endeffekt könnte ich es auch einfach sein lassen, es geht nur um diese doofe Dose. Und trotzdem kreiselt das seit gestern in meinem Kopf rum und ich schaffe es nicht, es aus meinen Gedanken zu verbannen.

Daher hier der erste ‚Kloß‘, denn da – also im Kopf – geht ja gerade nochmehr drunter und drüber. Mal sehen, ob das Aufschreiben ein bisschen Ruhe im Kopf und ein bisschen mehr Klarheit bringt. Vielleicht kann ich damit wenigstens dieses Thema erst mal beiseite legen.

Katja

 

 

13 Kommentare zu “Too much information

  1. Liebe Katja,
    für mich als „Außenstehende“ ist das ein interessanter Post. Ich finde, das Verhalten deiner Nachbarin sollte dir Mut machen. Sie hat es verstanden und umgesetzt. Das ist toll!

    „Aber ich käme mir auch schräg dabei vor, wenn ich ihr schreiben würde, dass ich lieber bei ihr vorbeikäme, weil ich Schwierigkeiten damit habe, fremde Menschen in meine Wohnung zu lassen…“
    Genau das würde ich aber schreiben. Du musst ja gar nicht weiter darauf eingehen, weshalb du diese Schwierigkeiten hast. Jetzt deine persönliche Geschichte lang auszubreiten, wäre vielleicht wirklich komisch und unangemessen. Aber in einem knappen Satz zu sagen, weshalb es nicht geht, dass sie zu dir kommt, halte ich für angemessen und sinnvoll. Vermutlich wird sie nicht weiter nachfragen, schon aus Höflichkeit, denn die Knappheit des Satzes lässt antönen, dass du nicht groß darüber reden willst. Und sie selbst hat vermutlich in ihrer Kunststoffdosenkarriere schon viele Menschen getroffen, alle unterschiedlich, jeder mit seinen eigenen Problemen und Eigenheiten.

    Liebe Grüße
    Nele

  2. Mach dir keine Gedanken, das ist doch eine reine Geschäftsbeziehung. Du bist eine Kundin, die eine zugesicherte Leistung in Anspruch nehmen will. Also verlange einfach die Abwicklung auf die Art und Weise, die dir am besten passt. Erklärungen bist du absolut nicht schuldig.

    Ich würde auch nicht auf das „freundliche“ Angebot eingehen, weil ich genau weiß, sobald sie mich persönlich erwischt, versucht sie, mir einen Partytermin aufzuschwatzen, denn das ist der hauptsächliche Grund hinter der Freundlichkeit. Wenn du zu ihr gehst, kannst du gehen, wann immer du willst. Es ist viel schwieriger, sie loszuwerden, wenn sie zu dir kommt.

  3. Was mir noch nicht ganz ersichtlich wird aus deinen Zeilen: Ist das Problem eher die Wohnung oder eher der Mensch, der u.U. hineinwill? Ist ja ein gehöriger Unterschied, bei Ersterem geht es darum, dass man zB einen Schutzraum hat, der „entweiht“ werden könnte (das kennen auch Leute die zum Beispiel Opfer eines Einburchs wurden), bei Zweitem ist es eher eine womöglich aufgezwungene Intimität, die sich immer ergibt, wenn zwei Menschen sich privat an nicht-öffentlichem Platz treffen. Was dein anderes Problem betrifft: Ich selbst kriege beruflich bedingt sehr viel unerbetene Anrufe auf meinem Privattelefon. Ich sage den Leuten inzwischen recht deutlich darum in Mails vorab, dass Geschäftsbeziehungen mit Leuten, die meinen mich privat anbimmeln zu müssen, automatisch beendet sind. Ich denke schon, dass das in deinem Fall auch geht, die Frau wird das Kennen, es gibt sehr viele Leute, die sehr rigoros werden, wenn Versicherungsvertreter zB ihnen auf die Pelle rücken. Die wird das also kennen, dass jemand sagt: Ich komme zu Ihnen, andersherum nicht. Feine Grüße, David Wonschewski

  4. @Nele: Danke für deine Gedanken! Ich denke immer, ich müsste dann auch dringend erklären, aber vermutlich ist das so tatsächlich die beste Lösung für mich. Dann muss ich mich nicht verbiegen und nicht lügen, mich aber trotzdem auch nicht aufdrängen.
    Liebe Grüße zurück!

    @Guinan: Ich glaube, ich tue mir so schwer damit bzw. fühle mich so unhöflich, weil ich ja eben keine _ihrer_ Kundinnen bin. Die verdient ja nur an ihren persönlichen Verkäufen. Ich bitte sie also erst mal um einen reinen Gefallen und je nach Zickigkeit der Bezirkshandlung halse ich ihr damit noch Diskussionen auf. (Und ich weiss das so genau, weil ich die Schüsselchen vor vielen Jahren mal selber ein Jahr lang verkauft habe, um ein bisschen Kohle zu verdienen während ich mein Abi nachgemacht habe. Ich konnte aber mit den aufdringlichen Methoden für die sich da einige ‚Kolleginnen‘ feiern ließen nichts anfangen und das Übertriebene ging mir nach kurzer Zeit auf die Nerven…)
    Aber du hast recht, meine Befürchtung ist ja auch, dass sie sich hier festsetzen würde, um mich zu überreden. Ich bin da ja aber eh schlechte ‚Beute‘. Ich kenne ja gar niemanden, den ich einladen könnte.
    Drück dich! Schön, dich zu lesen. 🙂

    @David: Herzlichen Dank für deinen Kommentar und willkommen auf meinem Blog! 🙂
    Es geht mir primär um den Schutzraum. Als meine Depressionen ganz schlimm waren, konnte ich für viel zu lange Zeit die Wohnung gar nicht verlassen. Das war noch eine vorherige Wohnung und das ist mittlerweile längst sehr viel besser, aber dieses Bedürfnis nach dem geschützten Rückzugsort, wenn mir die Welt wieder mal zu schnell oder zu viel wird, ist immer noch vorhanden.

    @Myriade: Ja, das geht mir zumindest fast immer so. 🙂
    Meinst du mit Überwindung, sie hier in die Wohnung zu lassen? Ich glaube, das möchte ich gar nicht, selbst wenn ich es leichter könnte. Ich würde das bei anderen Menschen, wie zB den freundlichen Nachbarn gerne besser können, aber nicht bei allen Menschen.
    Das andere kostet mich nicht direkt Überwindung. Es ist mehr die Unsicherheit, was ich machen möchte. Ich kann auch idR ganz gut von meinen Depressionen erzählen mittlerweile, in diesem Fall will ich mich nur einfach nicht mit so vielen privaten Details aufdrängen. 🙂

    @WdW: Ich drücke zurück und sende Küsse für’s Wiesel! ❤

  5. PS: Meine Wohnung ist für mich ein sehr persönlicher Raum. Zwar kann ich Handwerker u.ä. hier tolerieren, aber abgesehen davon suche ich mir Menschen, die hier eintreten dürfen, gut aus.

    Ich brauche diesen Abstand zum Rest der Welt. Zuviele Menschen respektieren keine Grenzen und trampeln über meine Bedürfnisse hinweg. Es ist leichter, sie fernzuhalten zu versuchen.

    Wiesel kichert freudig und küsst zurück ❤

  6. @WdW: Danke für diese Erklärung! ❤ Das klingt so viel schöner als mein unsicher gestammeltes 'kann Menschen nicht gut reinlassen' und im Grunde beschreibt es sehr ähnliche Gedanken und Gefühle, die ich dabei habe. Ich habe das bisher immer so verschämt als einen meiner 'Makel' betrachtet, die ich wieder in den Griff bekommen sollte (wollte?), aber manchmal weiss ich tatsächlich nicht, ob ich manche Menschen auch einfach nicht reinlassen möchte.

    @meermond: 🙂 ! Danke.
    Wer vor nichts Angst hat, braucht ja auch gar nicht so dringend Mut!
    Früher habe ich mich wegen meiner vielen Ängste immer als sehr feige empfunden, aber mittlerweile weiss ich, dass ich eigentlich ganz schön mutig bin, weil ich mich ihnen oft genug stelle. (Natürlich ist es viel einfacher das zu wissen und hier hinzuschreiben als es tatsächlich zu fühlen. Aber das ist ja vielleicht schonmal ein Anfang.)

  7. Nun, ich würde keinerlei Erklärung dazu abgeben, warum ich es vorziehe, zu ihr zu fahren, als sie zu mir zu bitten. Warum auch? Das ist eine reine geschäftliche Sache – fertig. Die Firma gibt ja diese lange Garantie auf ihre Sachen, also kannst Du die auch umtauschen. Ein Hausbesuch ist in diesem Fall nicht nötig. Ich vermute mal – aus eigener Erfahrung – dass die Dame sicher gerne so eine Party bei Dir abhalten würde (das gehört ja zu deren Geschäftsmodell) und womöglich mit entsprechenden Argumenten auffährt, wenn sie ersteinmal den besagten Fuß in der Tür hat…

    Und wie WdW schon sagt: Eine Wohnung ist ein persönlicher Raum und nur Du entscheidest, wer diesen betreten darf! Ich persönlich meine darüber hinaus, dass Du niemanden eine Erklärung schuldest, wen Du hereinlässt und wen nicht.

    Ich sende Dir liebe Grüße
    Rabea

    • @Rabea: Es ist nicht unbedingt so, dass ich denke, ich schuldete jemandem die Erklärung. Ich habe nur immer das Bedürfnis mich zu erklären. Fühle mich unhöflich, wenn ich das nicht tue.
      Liebe Grüße zurück! 🙂

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