141144

Vielleicht ist dein Geburtstag nicht nur ein Tag, an dem ich noch mehr als sonst an dich denke, sondern inzwischen auch zu jenem Tag im Jahr geworden, an dem mir bewusst wird, wie unglaublich viel sich in den letzten 12 Monaten verändert hat. Viele Jahre lang war das eher der Gedanke daran, wie sehr ich mich in den letzten 12 Monaten verändert habe, aber seit einigen Jahren – und im letzten ganz besonders – sind es auch ganz erheblich die Umstände, die sich verändert haben und die reißen leider wieder ganz andere Baustellen auf, die mir zeigen, wie sehr ich mich (noch) verändern müsste, um damit besser zurecht zu kommen.

Ich weiß, dass du dir gerade Sorgen um mich machen würdest, wenn du noch da wärst und ich mache sie mir selber auch. Ich wünschte, ich könnte nur mal eine Lektion im Leben ohne das übliche Learning by pain hinbekommen.

Und jetzt sitze ich hier heulend, denke dran, dass du mir gerade vermutlich durch’s Haar streichen und irgendwas wie „ach mein kleines Wawuschel, das wird schon wieder“ sagen würdest und du fehlst mir ganz schrecklich. Immer noch. Nach verfluchten 35 Jahren, die du jetzt schon nicht mehr da bist.

Happy birthday, Dad.

Deine Katja

141144

Manchmal frage ich mich, wie unser Verhältnis jetzt wohl wäre, wenn du noch lebtest, wenn der Krebs mir dich nicht vor so so langer Zeit schon genommen hätte und so kurz nachdem ich endlich zum ersten Mal das Gefühl hatte, einen Vater zu haben. Die Krankheit war gleichzeitig das Schlimmste und das Beste, was uns damals passieren konnte und ich weiß, dass du selbst dankbar darüber warst und über die Veränderung, die sie in dir und mit dir ausgelöst hat. So viel Ambivalenz in dem einen Gedanken. Was wäre wenn? Vielleicht wäre irgendetwas anderes passiert, was uns einander näher gebracht hätte, aber wahrscheinlicher ist, dass ich vor vielen Jahren schon den Kontakt zu dir abgebrochen hätte oder nur so sporadischen wie zu meiner Mutter hätte. Und irgendwie kann ich mir das sowieso gar nicht vorstellen, wie es jetzt sein würde. Außen ist da inzwischen eine Frau, die einige Jahre älter ist, als du je geworden bist, innen immer noch das Kind, das seinen Dad vermisst, das in den Arm genommen werden will und gesagt bekommen, dass alles gut wird. Irgendwie. Die Sehnsucht danach ist in dieser merkwürdigen Zeit noch ein bisschen größer als sonst und das innere Kind ist laut und hilflos verzweifelt.

Happy Birthday, Dad. Du fehlst nach all den Jahren immer noch.

Katja

141144

Es gibt überhaupt kein Jahr mehr, in dem ich nicht am 14.11. schreibe, dass in den letzten 12 Monaten so so viel passiert ist. Oft meine ich damit gar nicht mal das Außen, obwohl in den letzten 12 Monaten auch in diesem Außen verdammt viel passiert ist, sondern was sich in mir drin so tut. Und dann fällt mir auf, dass ich mich in all den Jahren immer wieder an den gleichen Themen abarbeite, dass ich zwar irgendwie vorankomme, aber dieser Grundknacks, den ich habe, der bleibt wohl immer der gleiche. Und doch finde ich immer wieder einzelne Puzzlestücke, die nach so vielen Jahren an ihrem Platz einrasten – das neueste liegt quasi noch frisch vor mir. Zusammenhänge. Warum ich so ticke wie ich ticke und wieviel davon mit dir zu tun hat. Wie viel davon damit zu tun hat, dass der verschissene Dreckskrebs mir dich just dann weggenommen hat, als ich mich, wahrscheinlich zum ersten Mal in meinem Leben überhaupt, geliebt gefühlt habe. Für die, die ich bin, nicht für irgendwas was ich tue. Aber vielleicht war ich da schon zu alt als dass es sich noch tiefer hätte einprägen können. Stattdessen geblieben ist die Angst, dass die Menschen, die ins Herz geschlossen habe, wieder aus meinem Leben verschwinden, so wie du es getan hast. Und jedes Mal, wenn sowas passiert, wirft es mich zu Boden und es hat lange gedauert, diesen Zusammenhang zu verstehen, warum der Aufprall immer so hart ist und wie viel davon alter Schmerz ist und jetzt bin ich wieder mal wütend auf dich, weil du vor fast 31 Jahren einfach gestorben bist, obwohl ich dich doch noch so dringend gebraucht hätte. Aber vielleicht ist es gut, dass ich diese Wut endlich spüren und auch zulassen kann, um vielleicht irgendwann einen Umgang mit dem Gefühlsdurcheinander zu finden, das du damals in mir hinterlassen hast.

Happy Birthday, Dad. Herrje, du fehlst mir immer noch. Nach all den Jahren.

Katja

141144

Wenn ich die Augen schließe und mich konzentriere, kann ich immer noch dein Gesicht vor mir sehen. Jenes, von dem Foto, das so lange über meinem Bett hing, du im roten Poloshirt, mit Jeans und Wanderschuhen auf einem Stein, irgendwo auf einem Berg sitzend, so viel Kraft und Zuversicht im Blick, obwohl der Krebs schon lange an deinem Körper gezehrt hatte. Heute wäre dein 75. Geburtstag, eigentlich noch kein so sehr hohes Alter, heutzutage, und doch bin ich inzwischen schon 5 Jahre älter als du je werden durftest. Nur in mir drin, da fühlt es sich nicht so an, da bin ich oft immer noch die Kleine, die ihren Dad vermisst, der ihr durch’s Haar wuschelt und sie Wawuschel nennt. Der, der so zuversichtlich wie auf dem Foto guckt, sie fest in den Arm nimmt und ihr verspricht, dass alles gut werden wird.

Happy Birthday, Dad. Du fehlst. Immer noch. Nach all den Jahren.

Deine Katja

141144

So viel passiert in den letzten 12 Monaten. So viel Schmerz hochgeholt, den ich über all die Jahre verdrängt habe. So viele Erinnerungen, an die ich mich in all den Jahren nicht erinnern wollte und bei denen es mir auch immer noch schwer fällt, hinzgucken, aus lauter Angst, die Bande zu dir ganz zu zerschneiden. Harte Monate hinter mir, harte Monate vor mir und ich weiß nicht, was da noch alles hochgespült werden wird.

Und dann denke ich an dich und unsere letzten paar Monate zusammen und wie du mich quasi gezwungen hast, mich schon mit deinem Sterben und deinem Tod auseinanderzusetzen so lange du noch da warst und mir dabei helfen konntest, zu verstehen, was da passiert und muss daran denken, wie unglücklich es dich machen würde, wenn du wüsstest, wie unglücklich ich oft bin und dass dir vermutlich lieber wäre, ich würde alle gute Erinnerung opfern, wenn es mir helfen würde, die schlimmen Erfahrungen irgendwann mal zu verarbeiten.

Ach Dad… du fehlst mir immer noch. Nach all den Jahren.

Happy Birthday!

Deine Katja, dein Wawuschel – denn, ich glaube, ich hab das noch nie erzählt – da kommt der Name für mein Blog her.

141144

Heute Nacht um kurz nach 12 fiel mir auf, dass schon heute und nicht mehr gestern ist und unvermittelt ballte sich der Knoten in meinem Magen zusammen, der sich mindestens an diesen beiden erinnerungsträchtigen Tagen im November immer dort ballt. Heute dein Geburtstag, in 10 Tagen dein Todestag und wenn ich daran denke, dass es dreissig Jahre her ist, dass wir deinen letzten Geburtstag zusammen gefeiert haben, kann ich mir das selber kaum glauben. So viel Erinnerung liegt verschüttet, aber an diesen Tag erinnere ich mich noch genau – und noch deutlicher an unsere letzte Begegnung am Tag bevor du gestorben bist, wo du kaum noch Kraft hattest, dich nicht mehr aufrichten konntest, aber mich dann trotzdem mit all deiner gewohnten Kraft, die ich so lange Zeit meines Lebens gefürchtet habe und die erst in den letzten beiden Jahren deines Lebens Schutz bot, umarmt und an dich gedrückt hast.

Ich erinnere mich genau, wie oft du mich in den letzten Monaten förmlich gezwungen hast, mit dir über’s Sterben zu reden, obwohl ich das nicht wollte, weil du noch da warst und mir helfen wolltest, deinen Tod zu begreifen, damit ich nicht hinterher alleine vor der Aufgabe stünde und ich weiß gar nicht, ob ich darüber lachen oder weinen soll, dass ich dich – trotzdem – nach 30 Jahren immer noch vermisse.

Ich bin so weit vorangekommen in den letzten beiden Jahren, hab mich endlich getraut hinzuschauen und die Erinnerungen an meine Kindheit zuzulassen. Hab versucht, an die Wut heranzukommen. Heute Nacht bin ich gefragt worden, wie man jemandem verzeiht, der einen so lange geschlagen hat und ich habe versucht zu erklären, wieso ich das konnte und im Gespräch fiel mir (erneut) auf, dass ich mir das nicht nur schön rede, sondern dass ich dir wirklich – schon damals – vergeben habe. Daran ändert auch die Therapie nichts, daran ändert auch die Tatsache, dass ich mittlerweile wütend auf dich sein kann, für das was du getan hast, nichts.

Aber ich merke auch, dass ich dir eine einzige Sache immer noch nicht verzeihen kann und das ist dein Tod und dass du mich direkt wieder alleine gelassen hast, kaum dass ich endlich einen Vater hatte. Und während ich das schreibe, merke ich, wie in mir wieder ein winziges Puzzlestück des ‚warum ticke ich so wie ich ticke‘ an seinem Platz einrastet und mir zum ersten Mal ein Zusammenhang aufgeht.

Happy Birthday, Dad! Du fehlst mir immer noch!

Katja

141144

Ich habe gerade so viel Text an dich geschrieben und schaffe es heute nicht, ihn abzusenden und habe ihn stattdessen wieder gelöscht. Zuviel hat heute meinen Kopf durchdrehen lassen als dass ich das sinnvoll sortieren und in Worte fassen könnte und ich werde immer ratloser. Unzählige Male hab ich heute dein Gesicht vor mir gesehen, wie du mich anschaust und mir mit der Hand durch’s Haar wuschelst und mich kleines Wawuschel nennst. Die Nagelhaut hab ich mir nervös weggeknibbelt und manchmal glaube ich, dass ich jetzt seit verfluchten 29 Jahren das Gleiche mit dem Schmerz und der Trauer um dich mache. Immer wieder aufknibbeln, gar nicht bewusst und doch immer wieder den Schorf an einer Ecke, die sich löst, anheben und langsam von der ganzen Wunde abziehen. Und ich kann’s und kann’s nicht lassen und ich frage mich so oft, was du mir sagen würdest, wenn du das wüsstest und wie verdammt traurig es dich machen würde, mich so zu sehen. Und manchmal frage ich mich, ob es irgendwie leichter gewesen wäre, diese Sache mit der Vergangenheit zu überstehen und loszulassen, wenn wir diese letzten beiden Jahre nicht gehabt hätten. Wenn du nicht noch mein richtiger Vater und Freund geworden wärst. Wenn ich dich, statt nach 29 Jahren immer noch um dich zu weinen, hätte hassen können oder wenigstens noch wütend auf dich sein. Ich weiß, wie müßig solche Fragen sind – hätte, hätte Fahrradkette – und doch wüsste ich gerne, ob es dann leichter wäre. Oder einfach nur anders kompliziert.

Happy Birthday, Dad! Still missing you.

Katja