Gelesen im Mai 2014

Eigentlich dachte ich ja, wenigstens an den paar Tagen unterwegs ein bisschen mehr Zeit zum Lesen zu finden, aber irgendwie komme ich aktuell aus der Flaute gar nicht mehr raus. Wieder nur zwei im Mai.  (Man bewundere den Reim!).

David Mitchell – Der Wolkenatlas

Der Wolkenatlas stand schon lange auf meiner Wunschliste und so war die Freude groß, als ich das Buch bei Anettes Verlosung anlässlich ihres Bloggeburtstages gewonnen habe. 🙂

Ich finde es allerdings nicht einfach, viel über das Buch zu schreiben, ohne direkt zu viel zu spoilern. Vielleicht wäre das nicht schlimm, weil alle ausser mir eh schon den Wolkenatlas gelesen haben, aber ich versuche es mal in aller Kürze ein paar meiner Eindrücke festzuhalten, ohne näher auf den Inhalt einzugehen.

Eigentlich erhält man mit dem Buch nicht nur eine, sondern direkt 6 Geschichten, die sich in ganz unterschiedlichen Epochen – angefangen 1850, endend in einer fernen Zukunft – und an ganz unterschiedlichen Orten ereignen. Die Brüche erfolgen nicht nur durch die Geschichten an sich, sondern auch dadurch, dass Mitchell völlig unterschiedliche Erzählstrukturen (zB ein Tagebuch, Briefe, ein Verhörprotokoll, Romankapitel…) verwendet, jede dieser einzelnen Geschichten hat auch eine ganz andere Sprache, was sehr konsequent umgesetzt wird. 1850 hat man eben noch ganz anders gesprochen und geschrieben als man es heute tut. Doch Mitchell spinnt das sogar noch weiter und entwickelt auch für die Geschichtenteile, die in der Zukunft spielen, eine weiterentwickelte Sprache, so haben in einer der zukünftigen Sprachen Markennamen die eigentlichen Begriffe ersetzt: ein Auto zB heisst nicht mehr Auto sondern Ford.

Einerseits ist das sehr interessant, andererseits fand ich einzelne Teile durch die diversen Sprachen schwer lesbar. Besonders schwer tat ich mir mit dem Mittelteil, der von hier aus am weitesten in der Zukunft stattfindet, dessen Sprache aber sehr slangmäßig auf mich wirkt (was vor dem Hintergrund der Geschichte schon sehr schlüssig ist). Sicherlich macht diese Konsequenz einen Teil des Reizes dieses Buches aus, bei mir hat es aber verhindert, dass ich wirklich in die Geschichte reinkam.

Die Idee hinter dem Buch ist phänomenal großartig!

Aber: Mir haben leider die einzelnen Geschichten nicht so gut gefallen. Die fand ich nicht so wirklich spannend und das in Kombination mit der schwierigen Sprache hat mich stellenweise ganz schön mit dem Buch kämpfen lassen. Ich weiss nicht, ob es Zufall war, aber mir haben tendentiell die beiden Geschichten mit den weiblichen Protagonistinnen inhaltlich deutlich besser gefallen.

 

Ingrid Noll – Hab und Gier

Lange schon hatte die Bibliothekarin Karla vom Rentnerdasein geträumt: sich zurücklehnen und endlich in Ruhe selber lesen. So gibt sie mit 60 ihren Job in der Stadtbücherei auf. Mit einigen Kollegen hält sie lose Kontakt – bis zu einer folgenschweren Einladung. Beim „Gabelfrühstück“ macht ihr der kinderlose Witwer Wolfram todkrank ein Angebot: Falls sie sich um seine Beerdigung und die Inschrift auf seinem Grabstein kümmert, erbt sie ein Viertel seines Vermögens. Pflegt sie ihn bis zu seinem Tod, erbt sie die Hälfte. Und bringt sie ihn wunschgemäß um, bekommt sie alles, eine Villa in Weinheim inklusive … Die Ruhe der Rentnerin ist dahin.

(Ingrid Noll, Hab und Gier, Diogenes, Klappentext)

Oh spannend! dachte ich beim Lesen des Klappentextes. Nicht nur, dass es hier um die Qual einer Gewissensentscheidung geht, es spielt noch dazu hier um die Ecke.

Hier um die Ecke spielt es tatsächlich, denn die kleine Stadt liegt nicht weit von Weinheim entfernt. Dass ich ansonsten mit meiner Einschätzung bzw. Erwartungshaltung nach Lesen des Klappentextes völlig danebenlag, kann ich dem Buch nicht wirklich zum Vorwurf machen, aber es geht in der Tat nicht um die moralische Abwägung, ob diese Tat vertretbar wäre.

Das wäre vermutlich auch ganz ok gewesen, allerdings fand ich auch sämtliche Figuren im Buch völlig unsympathisch, weswegen ich es längst beiseite gelegt hätte, wenn es nicht mit ca. 250 Seiten wenigstens erfreulich kurz gewesen wäre. Ich glaube, eigentlich soll das humorvoll bzw. ironisch erzählt sein, meinen Geschmack und Sinn von Humor trifft es aber gar nicht. Daher in aller Kürze: nicht empfehlenswert.

*

Ein wirklich (!) gutes Buch, in dem es um ein ähnliches (spannenderes) moralisches Dilemma geht, nämlich um die Frage, ob es vertretbar ist, Menschen zu töten, um das Überleben anderer zu sichern und eine echte Empfehlung ist übrigens Evangeline von D.W. Buffa. (Ohne Zusammenhang zu meiner kürzlichen Lektüre, einfach nur als Empfehlung in den Raum gestellt, weil ich beim Klappentext auf ein ähnliches Buch gehofft hatte.)

Katja

52 Bücher, Teil 10

Beim aktuellen Thema des 52 Bücherprojektes geht es darum, ein Buch blind aus dem Regal zu fischen und vorzustellen. Es gab auch noch eine alternative Methode das auszuwürfeln, aber ich wollte gerne heute Nachmittag noch etwas anderes machen. 😀 Um aber nicht allzu genau zu wissen, wo ich hingreife, hab ich mich mit geschlossenen Augen 5 mal auf dem Bürodrehstuhl gedreht, bin dann schwindlig im Kopf aufgestolpert und hab mich an einem Buch des Regals hinter mir festgeklammert.

Und das war

Evangeline von D.W. Buffa

und direkt beim Augen öffnen hat mir der Anblick des Titels eine Gänsehaut gemacht, weil ich mich so gut an die Geschichte erinnern kann.

In dem Buch geht es um eine Verhandlung, bei der der Kapitän einer Luxussegelyacht vor Gericht steht. Die Yacht war gekentert und es dauerte lange Wochen bis die Überlebenden, die sich in ein Boot retten konnten, gefunden wurden. In dieser Zeit trieben sie auf dem offenen Meer und als sie alle zu verhungern und zu verdursten drohten, traf der Kapitän eine unglaubliche Entscheidung (die ich hier nicht näher ausschmücken möchte). Vor Gericht wird nicht die Frage verhandelt, ob er 6 Menschen getötet hat, um – ich weiss nicht mehr genau wieviele – zu retten, dazu bekennt er sich, das steht ausser Frage. Es geht in der Verhandlung um die Frage, ob er eine Wahl hatte. Ist es moralisch oder barbarisch, Menschenleben für Menschenleben zu opfern?

Und kann man das überhaupt vom trockenen heimischen Lesesessel aus beurteilen?

Das Buch ist erschütternd und sehr intensiv. Mich hat es damals wochenlang immer wieder beschäftigt, auch als ich es längst ausgelesen hatte.

Die Vorgänge auf dem Boot an sich bleiben, wenn ich mich richtig erinnere, so unpräzise, dass man das auch lesen kann, wenn man die Saw-Reihe nicht zu seinen Lieblingsfilmen zählt. Aber alleine das Wissen, worum es da geht, war für mich schon starker Tobak.

Auf jeden Fall eines der wirklich guten Bücher, die ich in den letzten Jahren gelesen habe.

Katja