Es liegt nicht an mir

Diese Momente, wo mich Erkenntnisse über mich wie ein Blitzschlag treffen, bringen mich manchmal gewaltig aus der Spur. Besonders, wenn das in völlig banalen Situationen geschieht. Wie zum Beispiel vorhin als ich 25 Minuten damit verbracht habe, einen Teil der Arbeitsplatte meiner Küche zu schrubben, die hinterher immer noch so aussieht:

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Ich hatte dort gestern die Erdbeertörtchen, die auf einem Abkühlgitter standen, mit Tortenguss überzogen und nicht daran gedacht, etwas unterzulegen. Der Guss tropfte an den Seiten runter und hinterließ dort diese Spuren. Und ich seufzte, weil das bei meiner Küche immer so ist. Ich wohne jetzt seit fast haargenau 6 Jahren hier und die Küche ist fast haargenau ebenso alt. Direkt in dieser Zeit stellte ich fest, dass nichts Abfärbendes mit der Küche für länger als 30 Sekunden in Berührung kommen sollte, weil es sonst ein paar Tage bis Wochen dauert, bis die Spuren auf der Arbeitsplatte wieder verschwinden. Folglich achtete ich in den 6 Jahren ziemlich penibel darauf, keine Weinflasche ohne Küchenpapier drunter abzustellen, keinen Heidelbeermarmeladenlöffel liegen zu lassen, keinen Cayennepfeffer zu verschütten, keinen Rührlöffel, mit dem ich Rotkraut oder Bolognesesoße gerührt hatte, abzulegen. Und das war für mich völlig normal und wenn es mir doch mal wieder passierte, dass ich unachtsam gewesen war und einen Flecken auf der Fläche hatte, ärgerte ich mich sehr über mich selber, weil ich zu doof gewesen war.

Bis vorhin. Da ging mir zum ersten Mal auf, wie völlig beknackt es ist, eine Arbeitsplatte für eine Küche mit einer solch porösen Oberfläche herzustellen. Es liegt in der Natur von Küchen und Arbeitsplatten, dass darin gekleckert wird, dass man Löffel ablegen muss, dass eine Rotweinflasche mal tropft und dass sich dadurch ein Rand unter dem Flaschenboden bildet. Das ließt sich vermutlich völlig beknackt und auch banal, aber ich habe mir jetzt jahrelang Vorwürfe gemacht, wenn ich nicht in der Lage war, mich so zu verhalten, dass der Küche nichts passiert, anstatt auch nur einmal daran zu denken, dass das so vielleicht einfach eine Fehlkonstruktion ist und dass das Kleckern in Küchen das Normale ist, aber nicht, dass jedes Kleckern solche lange sichtbaren Spuren hinterlässt.

Und das für mich krasse daran ist, dass mir während des Schrubbens klar geworden ist, wie typisch das für mich ist. Wie sehr ich so ticke, dass ich bei mir suche, bei mir das ‚Fehlverhalten‘ oder die Verantwortung suche und sehe und dass ich gar nicht auf die Idee komme, es könnte an etwas oder jemand anderem liegen.

Und so rein praktisch ändert sich für mich – zumindest in Bezug auf die Küche – gar nichts oder nicht so viel. Ich werde auch in Zukunft aufpassen (müssen), wie und womit ich rumkleckere, aber und das muss ich eigentlich groß schreiben, weil es für mich so ein großes ABER ist, dass mich hier gerade anspringt, ABER ich kann sehr wohl meine Haltung ändern und in Zukunft, wenn ich mal wieder für ein paar Tage oder Wochen Flecken auf der Fläche habe, nicht über mich fluchen, weil ich zu doof war, sondern über die Küche fluchen, weil die eine doofe Oberfläche hat. Klar, kann die nichts dafür, ich hab sie ja auch so gekauft, aber ich bin froh solche Dinge zu erkennen, wo ich eine so schräge Selbstwahrnehmung habe. Und wenn ich das bei der Küche ein bisschen gerader gerückt bekomme, dann ja vielleicht auch in anderen Bereichen, wenn ich mal wieder dazu neige, mir jeden Schuld-Verantwortungs-Dingens-Schuh anzuziehen.

Katja

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