Die Sache mit dem Aushalten

Die andere Sache, die mir seit ein paar Tagen wieder dauernd im Kopf rumgeht, ist das mit dem Aushalten. Und wo ich gerade so versuche, zu greifen zu bekommen, wieso das derzeit so dermaßen präsent im Kopf ist, fällt mir auf, dass es vielleicht daran liegt, dass ich gerade so große Angst davor habe, in eine Lage zu geraten, in der es mir nicht gut geht/die mir nicht gut tut und wie ich dann aus meiner üblichen Falle des Aushaltens rauskommen kann.

_Die_ Situation aus der Klinik im letzten Frühjahr (der ‚bösen‘ Klinik, in der es mir so schlecht ging), die ich vermutlich nie im Leben vergessen werde ist eine, irgendwann am Ende der zweiten oder Anfang der dritten Klinikwoche. Tagelang brennt sich ein „das müssen Sie jetzt mal aushalten“ ums andere „vielleicht müssen Sie das jetzt eben einfach mal aushalten“ und es sind wechselnde Dinge, um die es geht und wechselnde Menschen, die mir das sagen und ich höre es nicht zwei Mal sondern vermutlich ein Dutzend mal innerhalb weniger Tage und in mir hallt das Aushalten-Aushalten-Aushalten und irgendwann bei einem Spaziergang durch den Klinikpark, der eher ein Gewaltmarsch ist, bei dem die Schritte immer zorniger werden und das Rauschen in den Ohren immer lauter wird, kommt der Schmerz hoch über so viel Aushalten müssen. Meine Kindheit. Aushalten müssen. Immer aushalten müssen. Und bloß dabei leise bleiben. Still aushalten. Nur nichts sagen. Nicht rühren. Sonst wird das, was es auszuhalten gilt immer nur noch schlimmer. Und dann bin ich irgendwann zurück in der Klinik, begegne meinem Bezugspfleger auf dem Flur. Wir wechseln ein paar Worte, er fragt mich etwas, ich antworte irgendwas, wo es darum geht, dass es mir nicht gut geht und dann höre ich wieder die Worte „müssen Sie aushalten“ und das ist der letzte Tropfen der noch fehlt und ich stemme die Hände in die Hüften und stampfe wie ein zorniges Kind mit den Füßen auf und brülle aus Leibeskräften „ICH HAB DIE SCHNAUZE SO VOLL! ICH HAB IN MEINEM GANZEN VERSCHISSENEN LEBEN IMMER NUR AUSHALTEN MÜSSEN. ICH WILL NICHT MEHR! WENN MIR HIER HEUTE NOCH EINMAL WER SAGT, DASS ICH IRGENDWAS AUSHALTEN MUSS – DEM HAUE ICH AUF’S MAUL!!!!111elf“.

Retrospektiv war das vermutlich das Beste, was in dieser Klinik tatsächlich passiert ist, denn es war natürlich nicht die Wut, die dorthin gehörte – zumindest nicht nur diese – sondern die Wut meiner Kindheit, die ich vorher noch nie fühlen konnte und die Tatsache, dass ich nach dem Klinikaufenthalt mit dem besten Therapeuten an der Stelle angeknüpft habe, war das, wieso es am Ende – zumindest auch – etwas Gutes bewirkt hat. (Und wie verflucht unfähig die in dieser Drecksklinik waren, zeigt sich unter anderem daran, dass sie zwar jeden Mumpf protokolliert haben, den sie aus Privatgesprächen unter Patienten belauscht haben und dich mit jedem Mist konfrontiert haben, aber daran hat dort niemand mit mir gearbeitet, das hat niemand aufgegriffen, daran angeknüpft.)

Und doch weiß ich immer noch nicht so genau wie das geht, dieses Nicht-Aushalten und Nicht-Aushalten-Müssen, denn in den seltensten Fällen passiert es ja wirklich, dass man direkt mit dem „das musst du aushalten“ von außen konfrontiert wird. Die Gefahr, dass ich in einer Lage lande, in der es mir nicht gut geht und dass ich dann darin verharre und aushalte, weil mir das Bewusstsein fehlt, dass ich etwas an der Situation ändern kann, dass ich etwas ändern darf, dass ich nicht aushalten muss, das ist die viel größere. Nicht zu bemerken, dass ich Dinge aushalte, die mir nicht gut tun, das macht mir gerade große Angst. Und vielleicht wird die ein bisschen kleiner durch’s Aufschreiben. Vielleicht (hoffentlich?) bin ich ja ein bisschen besser gewappnet, wenn ich mich mit dem Thema beschäftige, über’s Aushalten/Nicht-Aushalten-Müssen nachdenke.

Hoffentlich.

Katja

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Glitzerdinger oder 300 vollgeheulte Taschentücher später

Es ist wieder mal und immer noch der gleiche Mist wie immer. Ich warte darauf, dass sich die Gedanken im Kopf sortieren und ich sie endlich zu fassen bekomme, sie in Worte fassen kann, denn wofür ich Worte finde, das verliert wenigstens einen Teil seines Schreckens, ist im wahrsten Sinne des Wortes begreifbar und sicher werden fassen und (be-)greifen nicht zufällig auch für Worte und Gedanken verwendet. Was ich (in Worte) fassen kann, kann ich besser (be-)greifen. Nur funktioniert es wieder mal nicht so herum, dass die Gedanken sich automatisch und zuerst sortieren, also probiere ich’s wieder mal andersrum. Finger auf die Tastatur und gucken, was dabei herauskommt. Dass (Auf-)Schreiben hilft, weiß ich doch schon so lange und doch falle ich immer wieder aus der Übung raus, lasse es soweit kommen, dass es mir so fern und fremd wird, dass ich wieder nach Anfängen suchen muss, vorsichtig tastend mit kleinen Schritten, wie wenn man barfuß im Dunklen durch ein fremdes Zimmer geht und versucht, sich nirgends den Zeh anzustoßen und nirgendwo raufzutreten, wo es schmerzt.

Fremd ist mir auch einiges hier geworden, wo ich doch eigentlich zu Hause bin. Sieben ganze Wochen war ich weg, auf den Tag genau 50 Tage und so lange war ich noch nie von zu Hause weg und alleine war ich schonmal noch gar nicht weg. Nie zuvor. Und jetzt ist erst mal das Zuhause ein bisschen komisch und ungewohnt. Ich, die für alles einen festen Platz hat, habe von manchen Dingen vergessen, wo ich sie hinhabe und auch in welch chaotischem Zustand ich meinen Schreibtisch zurückgelassen hatte, hatte ich in der Zwischenzeit vergessen. Oder wollte das zumindest am liebsten.

So chaotisch wie der Schreibtisch im ‚außen‘ ist, sieht es auch gerade wieder_mal_immer_noch in mir drin aus. Ein bisschen fühlt es sich so an, als sei in den letzten 7 Wochen meine komplette Psyche einmal wie eine Schneekugel durchgeschüttelt worden und gerade warte ich darauf, dass sich der Sturm in mir drin wieder ein bisschen legt und die einzelnen Flöckchen aufhören so doll zu wirbeln und stattdessen langsam in den sanften Landeanflug übergehen.

Holy cheesecake war das eine unfassbar anstrengende Scheiße und ging’s mir in der Zeit in der Klinik schlecht. Und ich bin immer noch nicht sicher, ob es gut war hinzugehen oder eher eine Scheißidee. Hätte ich auch nur ansatzweise geahnt, was mich erwartet – ich hätte wohl niemals den Mut dazu aufgebracht. Und doch, es war nicht alles schlecht. Ich hab auch gute Dinge im dort vielzitierten Gepäck, das sind wohl die kleinen glänzenden Flöckchen, die hie und da in der Schneekugel glitzern während sie auf dem Weg zum Boden sind. Jetzt gilt es, die Glitzerdinger nicht wieder zu verlieren. Wenn das Bild mit der Schneekugel ja halbwegs stimmt, dann ist es ein geschlossenes System, aus dem nichts so schnell wieder entweicht und doch ist das gerade meine größte Befürchtung. Dass die Zeit und die 2 vollgeheulten Großpackungen Taschentücher am Ende irgendwie vergeblich war, weil ich es nicht auf die Reihe bekomme, die guten Dinge hinüberzuretten.

Ufff. Da liegt noch viel Arbeit vor mir, jetzt bloß nicht aufgeben und den Faden wieder verlieren.

Katja