Tag 26/44

Wahrhaftigkeit

Wahrhaftigkeit ist eine Denkhaltung, die das Streben nach Wahrheit beinhaltet. Wahrhaftigkeit ist keine Eigenschaft von Aussagen, sondern bringt das Verhältnis eines Menschen zur Wahrheit oder Falschheit von Aussagen zum Ausdruck. Die Wahrhaftigkeit kann falsche Aussagen nur durch einen Irrtum hervorbringen. Zur Wahrhaftigkeit gehört die Bereitschaft, für wahr Gehaltenes zu überprüfen.

Wahrhaftigkeit bezeichnet das subjektive „Für-wahr-Halten“ der eigenen Aussage in einem konkreten Kontext.

Nach Otto Friedrich Bollnow wendet sich die Wahrhaftigkeit nach innen, das heißt, sie lebt in der Beziehung des Menschen zu sich selbst: „Sie bedeutet die innere Durchsichtigkeit und das freie Einstehen des Menschen für sich selbst. […] Eine ehrliche Lüge ist etwas anderes als eine Unwahrhaftigkeit. […] Die Unwahrhaftigkeit aber setzt da ein, wo der Mensch sich selbst etwas vormacht, wo er auch sich selbst gegenüber nicht zugibt, dass er lügt, wo er sich die Verhältnisse vielmehr so zurecht legt, dass er sich selbst gegenüber den Schein der Ehrlichkeit wahrt. […] Viel gefährlicher aber wird es, wenn er sich die Verhältnisse so zurecht legt, dass er seine Aussage und sein Verhalten verantworten zu können glaubt.“ (Otto Friedrich BollnowWesen Text. Wickert, S. 229 ff.)

Siehe auch: Integrität

Wie es mich immer wieder überrascht, wenn ich feststelle, dass Menschen nicht wahrhaftig sind und (nicht nur, aber auch) sich selbst belügen und wenn da eine große Lücke klafft zwischen schönen Worten und nicht dazu passenden Taten und wie ich mich quasi jedes Mal frage, ob ich es nochmal lernen werde, weniger vertrauensselig und dadurch vorsichtiger zu sein und noch viel wichtiger, ob ich das überhaupt will, weil vielleicht ist das, was so oft wehtut und was ich so oft als Schwäche empfinde, eigentlich ja doch eine Stärke. Immer wieder aufs neue vertrauen zu können und zuversichtlich zu sein, egal wie tief die letzte Enttäuschung getroffen hat.

Katja

 

 

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Tag 18/44

Es gibt ja Leute, die haben Mauern um ihre Herzen errichtet, gut befestigt, manche sogar mit Wach- und/oder Wehrtürmen in regelmäßigen Abständen. Bei meinem denke ich oft, dass es von einer semipermeablen Membran begrenzt ist, was einer der etwa 3 Fachbegriffe ist, die bei mir aus dem Biologieunterricht überhaupt hängen geblieben sind, weil ich das Wort semipermeabel so schön finde, damals schon so schön fand als ich es zum ersten Mal gehört habe. Halbdurchlässig. Rein geht alles zack zack, raus kommt so gut wie nichts mehr, was erst mal drin ist. Oder wer erst mal drin ist. Das ist es ja, was dann so oft Leid verursacht, dieses wieder loslassen müssen und eben oft auch dann nicht können, selbst, wenn ich es eigentlich will und nicht nur muss oder müsste. Da ist dann diese Barriere, dieses nur Halbdurchlässige, nur in die Reinrichtung. Ist ja auch genügend Platz drin, groß genug ist es ja mein Herz. Vielleicht sollte ich mal über die Einrichtung einer herzinternen Rumpelkammer nachdenken, wo ich das verstauen kann, was nicht wieder rausgeht. Oder wer. Damit ich nicht dauernd darüber stolpere und damit auch über meine eigene Unfähigkeit des Ausmisten, Aufräumens, Loslassens. In Herzensangelegenheiten zumindest. In der Küche oder im Kleiderschrank klappt das deutlich besser. Ein Riegel muss natürlich an diese Rumpelkammertür, damit der Kram auch drinnen bleibt und nicht mir nix dir nix wieder rausmarschiert. Rumpelkammertür auf, Dings rein, Tür zu, Riegel vor. Und dann erst mal schweissgebadet von außen dagegenlehnen und durchatmen. Und dann langsam rückwärts von der Tür wegbewegen und hoffen, dass man so erst mal davon kommt. Dass das herzinterne aus-den-Augen-aus-dem-Sinn irgendwie funktioniert. Das wär’s.

Katja

Über starke Schwäche und schwache Stärke

Und dann bist du an dem Punkt, wo du merkst, dass du gerade mal ganz bewusst einen bestimmten Schmerz anschauen solltest, statt ihn wegzuschieben und zu verdrängen, wo du anfangen solltest, umzudenken. Wenn du jemandem einen Platz in deinem Herzen gibst, ist das ein Privileg für denjenigen. Du willst dich nicht mehr als die kleine, naive, vertrauensselige TreuDOOFE fühlen, die zu blöd ist, eine Mauer um ihr Herz zu bauen und deswegen alle direkt so nah an sich ranlässt. Du willst dich nicht mehr selber für diese Eigenschaft hassen, wenn du wieder mal eins auf die Nase bekommst, sondern du willst dich endlich als die annehmen und mögen, die du bist und diese Eigenschaft, immer wieder vertrauen zu _können_ und Menschen nah an dich ranlassen zu _können_, als eine deiner Stärken und Fähigkeiten zu sehen. Wenn du jemandem einen Platz in deinem Herzen gewährst, ist das eine Einladung für Freundschaft und Nähe. Aber du musst endlich anfangen, die Einladung an ein gewisses Benehmen zu knüpfen. Es ist nicht nötig, an der Tür die Schuhe auszuziehen oder reglos in Sonntagsklamotten am Tisch zu sitzen. Es gibt aber auch keinen Freibrief, mit schmutzigen Schuhen auf dem Sofa rumzuhopsen oder wie ein volltrunkener Elefant im Porzellanladen, Scherben anzurichten. Und das ist der Punkt, an dem du wirklich endlich lernen musst/solltest auf dich selber aufzupassen und Menschen, die sich daneben benehmen auch wieder rauszuwerfen. Keine Türsteher, aber wenigstens Rausschmeißer. Und dafür ist es vermutlich ganz gut, gelegentlich mal einen Schmerz genauer zu betrachten und zuzulassen.

Katja

*macht Lebensaufräumgeräusche*

Dann, irgendwann, Monate später, bekommt der Text doch noch seine Widmung und seinen Adressaten und die immer wieder aufreißende Wunde in mir, vielleicht endlich die Ruhe, die sie zum Heilen braucht.

Aus Gründen des Selbst/-schutzes und/oder des auf-mich-selber-Achtgebens an einigen Stellen Grenzen zu ziehen, an anderen Hürden einzurennen, ist noch neu und ich bin noch nicht so sicher, was da gerade in mir und mit mir passiert. Bei aller Verwirrung und Überforderung, ist da auch eine ganz neue Klarheit und furchtbar viel Energie und Mut, die mich andauernd selber überraschen und von denen ich gar nicht weiß, wo zur Hölle die gerade herkommen. Same same but very different. Und so wie mein Draußen auf einmal in viel mehr Bewegung ist, scheint es auch in mir zu sein. Ein bisschen ist das wie beim Aufräumen, wo mir auch äußeres Wohnungaufräumen so oft hilft, in meinem Kopf mehr Klarheit zu finden.

„Bleiben Sie bei sich selber“ hallt die Stimme des Therapeuten immer wieder in meinem Kopf und ersetzt oder übertönt zumindest so manches Mal jene Stimme, die mir einredet, wertlos zu sein.

Bleiben Sie bei sich. Und vielleicht ist es genau das, woher auf einmal der Mut und die Energie kommen. Vielleicht mache ich genau das gerade zum ersten Mal im Leben wirklich.

Es bleibt spannend! Bleiben Sie dran!

Katja

(Danke an die, die mir gerade dauernd stellvertretend für mich selber auf der Schulter rumhaut, weil ich das (noch) nicht kann. ❤ )

Ach und trotzdem.

Und dann merkst du irgendwann, du kannst das nicht, nicht so, merkst wie die Wunde jedes Mal wieder aufplatzt, wie es jedes Mal wieder weh tut und dass du dich nicht mehr darüber freuen kannst, sondern nur noch traurig bist.

So funktioniert das nicht. Du dachtest, es ginge ok so und dass du damit klar kommen könntest, aber diese Sache, da geht das nicht, da geht kein Ungleichgewicht, da geht nur Augenhöhe, sonst ist es irgendetwas anderes und ganz anders als das, wie es für dich (ge)passt (hat).

Aber dann merkst du, bei all den Tränen, immerhin, dass es hier um Selbstschutz geht, vielleicht zum ersten Mal überhaupt und dass der gerade wichtig für dich wird, du ihn dir zugestehen kannst und scheinbar doch endlich anfängst, auf dich achtzugeben.

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Katja

 

Eine mit so fröhlich leuchtenden Pünktchen

(Für M.)

Und dann stehst du da, ein kleines Stück deines Herzens in den Händen und du hast es extra verpackt ins schönste Geschenkpapier, das du hast und dann noch eine kleine Schleife drumherum gebunden, eine mit so fröhlich leuchtenden Pünktchen drauf und du streckst die Hände vor, bereit es zu verschenken, jemanden hineinzulassen, der eigentlich ja längst schon drin ist und der guckt von dir zu deinen Händen und zurück und sagt, ach komm lass mal, das kann ich gar nicht brauchen, dafür hab ich keine Verwendung, das kommt mir irgendwie ungelegen und das ist doch eigentlich auch gar nicht so richtig was, und dein Lächeln erstirbt und du lässt beschämt die Hände sinken, würdest selber am liebsten im Erdboden versinken, guckst zu Boden und du brauchst eine Weile, versuchst, den Kloß im Hals runterzuschlucken, gehst langsam und zögerlich einen Schritt rückwärts und dann noch einen, während im Kopf laut der „du-hast-es-wieder-mal-vergeigt-Chor“ schon mal lossingt, in voller Lautstärke und schief, während das „du-bist-halt-einfach-nicht-liebenswert“-Orchester noch schrill seine Instrumente stimmt und du sagst, lasst mich, lasst mich doch, und willst nicht wahrhaben, was so wahr ist, hast so viele Abers im Kopf und im Herzen, aber irgendwann wird dir klar, dass du manche Dinge nicht verschenken kannst, auch wenn du sie wirklich als Geschenk meinst und du gehst traurig noch einen Schritt zurück und noch einen, während du das leise Klirren, das aus der Verpackung in deinen Händen kommt, hörst und du versuchst, tapfer die Zähne zusammenzubeißen und dir zu sagen, dass es zumindest nicht nur dein Verlust ist, aber du beißt dir dabei nur von innen in die Backe.

Katja

So einer.

Diese Tage, an denen man so in die altvertrauten Muster des Selbstzweifels und Selbsthasses zurückfällt, weil sie immer noch so dicht unter der Oberfläche lauern und diese sofort durchbrechen, wenn sie wittern, dass das endlich wieder mal eine Chance für sie ist, weil man gerade zu schwach ist, das im Kopf laut bohrende „was ist nur falsch an mir?“ zu ignorieren oder gar mit einem „gar nichts, du bist ok wie du bist“ gegenzuhalten, wie das an guten Tagen mittlerweile immerhin manchmal geht.

*

Diese Tage, an denen man sich fragt, wie es wohl wäre, eine Art Gartenzaun ums Herz zu haben, um es nicht immer direkt so weit für Menschen zu öffnen und sich damit nicht so schutzlos und verletzlich zu machen, aber noch während man überlegt, wie das sein könnte, fängt man eigentlich schon wieder an, darüber nachzudenken, dass es dann aber ein sehr kleiner und niedriger Zaun sein müsste und in einer freundlichen und einladenden Farbe und vielleicht mit ein paar Lücken und einem nie verschlossenen Tor und mit ein paar Blümchen die durch den Zaun nach draußen wachsen, weil man es eigentlich ja gar nicht will, dieses Menschen-Aussperren, weil man ihnen ja nahe kommen will.

*

Diese Tage, an denen man irgendwann mit Kaffee auf der Terrasse sitzt, nochmal kräftig die Nase putzt und den Wolken beim Umherziehen zuschaut.

Es ist, wie es ist und es kommt, wie es kommt.*

Katja

 

[*Das ist das Lebensmotto des Protagonisten aus „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ von Jonas Jonasson]