kurz zitiert #56

Man hätte den Eindruck haben können, als wären wir beide als Nordpole desselben Magneten auf die Welt gekommen, als müssten wir eigentlich gleich sein, und stießen uns letztendlich aber doch immer wieder voneinander ab – bis ans Ende unserer Tage von einer geheimnisvollen, unsichtbaren Kraft voneinander ferngehalten.

(Seite 218)

 

Ringsum herrschte absolute Stille, so wie man sie nur in Kirchen antrifft – eine Stille, die so unermesslich war, so zeitlos und so laut, dass sie in den Ohren schmerzte, ein hallendes Vakuum negativen Klangs.

(Seite 269)

(Alan Bradley, Schlussakkord für einen Mord, Flavia de Luce 5)

 

Ich mag Flavia, die kleine Nervensäge, tatsächlich von Band zu Band lieber und das nicht nur wegen so feiner Formulierungen und nicht nur die Bücher insgesamt, sondern tatsächlich auch die Figur an sich, deren Eigenheiten und Schrulligkeiten mich immer mehr für sie einnehmen. 🙂

Katja

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Gelesen im Dezember 2014

Kurz und schmerzlos und ohne viel Gerade drumrum, weil ich gerade beim Erstellen meiner Top-5-Liste von 2014 bemerkt habe, dass es praktisch wäre, die Dezember-Leseliste zuerst zu veröffentlichen, um hierher verlinken zu können.

Das Jahr hat sich auf jeden Fall – sowohl, was meine mit Büchern zugebrachte Zeit als auch, was die wirklich guten Bücher angeht – im November und Dezember sehr gemacht.

Thommie Bayer – Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Michael, Thomas, Bernd und Wagner waren in ihrer Jugend auf dem gleichen Internat und nicht nur das: aus den anfänglich verfeindeten Jungs wurde, eher durch einen Zufall, eine A Capella Gruppe. Jetzt sehen sie sich nach über 20 Jahren Funkstille auf der Beerdigung von Emmi, ihrer ehemaligen Lehrerin und Mentorin wieder und könnten verschiedener nicht sein. Trotzdem lädt Michael die anderen spontan zu sich nach Hause ein, nach Venedig, wo er seit 9 Jahren lebt. Aber was ist das eigentlich? Der Versuch, eine alte Freundschaft wieder aufzuwärmen oder jener, etwas ganz neues zu erschaffen? Und dann ist da auch noch Erin, eine weitere ehemalige Schülerin Emmis…

Thommie Bayer erzählt nicht nur aus den verschiedenen Perspektiven der vier Schulfreunde, er verwebt auch die unterschiedlichen Zeiten sehr gekonnt miteinander.

Bei Büchern mit Perspektivwechseln geht es mir manchmal so, dass ich genervt bin, wenn die Perspektive springt obwohl ich an dieser Stelle unbedingt mehr erfahren wollte. Das ging mir bei diesem Buch kein einziges Mal so. Das ist alles sehr stimmig verflochten. Die Charaktere sind nicht alle ausschließlich sympathisch (weil sie das gar nicht sein sollen), aber alle gelungen und in sich stimmig und glaubwürdig. Alle vier sind irgendwie, auf ganz verschiedene Weisen, im Leben an der Liebe gescheitert und das zeigt sich als (fast) einzige Gemeinsamkeit bei ihrem Aufeinandertreffen nach so vielen Jahren und das ist interessant und warmherzig und an vielen Stellen auch philosophisch erzählt:

„Immer wenn jemand stirbt, merkt man, dass es nicht so viele sind, mit denen man wirklich lebt. Die einem wichtig sind, mit denen man wirklich lebt. Die einem wichtig sind und für die man selber wichtig ist. An Emmis Grab ist mir aufgefallen, dass sie mir fehlen wird. Das wusste ich bis dahin nicht. Ich habe den Kontakt einfach abreißen lassen und erst, als es zu spät war, kapiert, dass ich mich irgendwie immer auf Emmi verlassen habe.
Vielleicht war sie so was wie ein Ersatz für meine Mutter. Auf einmal hatte ich das Gefühl, jetzt bläst mir ein Wind ins Gesicht, der vorher nicht da war.“

(Thommie Bayer, Vier Arten, die Liebe zu vergessen, Seite 157)

„Vier Arten, die Liebe zu vergessen“ ist ein ganz wunderbares Buch und gehört sicher zu den schönsten, die ich in diesem Jahr gelesen habe.

 

Jonas Jonasson – Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand

Eine Stunde bevor im Altenheim die Feier zu seinem 100. Geburtstag beginnen soll, klettert Allan Karlsson aus dem Fenster seines Zimmers mitten in die Blumenrabatten und büchst aus. Als ihn kurz darauf ein stoffeliger junger Mann, Mitglied der Motorradgang ’never again‘ am Busbahnhof bittet, mal eben auf seinen Koffer achtzugeben, während er zur Toilette geht, nimmt Allan den Koffer kurzerhand mit als sein Bus kommt. Kurz darauf begegnet er Julius, der seinen Lebensunterhalt, mehr oder weniger gut, durch Kleinkriminalität bestreitet und während die beiden sich bei Elchgulasch und jeder Menge Schnaps verbrüdern, taucht das Gangmitglied auf der Suche nach seinem Koffer in Julius Behausung auf.

Was dann beginnt ist ein großer Spaß und Roadmovie erster Güte, denn nicht nur die Mitglieder von ’never again‘ sind hinter Allan her, sondern auch die Polizei und Staatsanwalt suchen den alten Mann, zuerst weil sie glauben, er sei entführt werden, später, wegen Verdacht auf 3-fachen Mordes, für den sie allerdings keine Leichen haben.

Niemand konnte ein Publikum so in Bann schlagen wie Großvater, wenn er mit dem Priem im Mund und leicht auf seinen Stock gestützt auf seiner Holzbank saß.
„Ja, aber… ist das denn wirklich wahr, Opa?“, fragten wir Enkel dann immer ganz hingerissen.
„Wenn ein’n man jümmers bloß de Wohrheit vertellt, denn is dat de Tid nich wert, dat je em tohört“, antwortete Großvater.

Dieses Buch ist ihm gewidmet.

Jonas Jonasson

Ich glaube, der Großvater ist / oder wäre unglaublich stolz auf den Enkel, denn die haarsträubende Geschichte, die Jonas Jonasson hier erzählt, ist zwar eindeutig nicht wahr, aber die Zeit, die man ihm zuhört bzw. die Geschichte liest, ist gut investiert!

Während die Gruppe um Allan immer größer wird und mehr Menschen versammelt, die mit ihm gemeinsam auf der Flucht sind, erfährt man ausserdem in Rückblicken, wie es dem Hundertjährigen so in seinem Leben ergangen ist und rein zufällig war der bei vielen wichtigen politischen Ereignissen des 20. Jahrhunderts nicht nur live zugegegen sondern oft auch maßgeblich am Ausgang beteiligt. So rettete er zufällig Generalissimo Franco im spanischen Bürgerkrieg das Leben und gab den Physikern des Manhattan-Projekt den entscheidenden Hinweis, der den Bau der Atombombe ermöglichte – um nur zwei der spektakulären Lebensstationen zu erwähnen.

Das ist alles so dermaßen haarsträubend und absurd konstruiert, dass es schon wieder unfassbar gut und unheimlich witzig ist. Tolles Buch!

(Danke an Svü, die es für mich bei einer Verlosung zum Welttag des Buches gewonnen hat. ❤ )

(Kurz danach habe ich übrigens den Film gesehen und der ist tatsächlich Zeitverschwendung! Guckt den nicht, lest lieber das Buch! :))

 

Sascha Bors – Papa, ich geh zum Zirkus! oder: Karriere – kann man das essen?

Sascha Bors, der ein recht bekanntes Taxiblog schreibt, beschreibt hier anekdotisch seinen Lebensweg von der Schulbank in Stuttgart über diverse Stationen im Niedriglohnsektor bis er schließlich Taxifahrer in Berlin wird.

Hm, schwierig. Man kann das lesen, vor allem (und das war für mich tatsächlich das beste daran) weil es sehr kurz ist und schnell gelesen. Aber das ist ja nie ein gutes Zeichen, wenn man froh ist, ein Buch hinter sich zu haben. Man muss es also meiner Meinung nach tatsächlich nicht lesen. Ich fand die Geschichten okäääy (mit langem ä), aber weder besonders spannend oder auch nur interessant. Und mich hat an vielen Stellen gestört, dass hier ziemlich in alle möglichen Richtungen ausgeteilt wird, die selbstironischen Stellen stehen Buch und Autor deutlich besser zu Gesicht.

 

Robert Asprin (Hrsg.) – Die Diebe von Freistatt

Ich bin kein großer Fan von Fantasyliteratur, aber ich liebe Robert Asprins Funny Fantasy Dämonen-Zyklus rund um Skeeve, Aahz, Tanda und Glieb, und auch seine Serie über die Chaos-Kompanie, heiss und innig. Beide Serien habe ich in den letzten Jahren mehr als einmal gelesen, deswegen war es jetzt an der Zeit, mir Asprins weiteres großes Werk – den Diebeswelt-Zyklus – anzuschauen. Asprin schrieb hier nicht alleine sondern versammelte zwischen 1979 und 89 etliche Fantasyautoren und erschuf Freistatt – eine weitere Fantasywelt. Jedoch eine, vor deren Hintergrund dann die beteiligten Autoren ihre eigenen Helden einbrachten und ihre Geschichten erzählten und die Welt gemeinsam fortschrieben. 18 Bände hat Asprin insgesamt herausgegeben. „Die Diebe von Freistatt“ ist der erste Band des Zyklus und enthält auf insgesamt knapp 200 Seiten 4 Geschichten, je eine von John Brunner, Lynn Abbey, Poul Anderson und Andrew Offutt, sowie eine längere Einleitung von Asprin, in der er sowohl die Idee zur Anthologie als auch die Welt vorstellt.

Soweit der interessante Teil des Ganzen. Leider sind dann drei der vier Geschichten gar nicht nach meinem Geschmack. Weder gibt es interessante Charaktere, noch spannende Handlung und auch die Sprache gefällt mir in diesen drei Geschichten überhaupt nicht. Einzig sehr positiv sticht für mich „Todesurteile“ von John Brunner heraus.

Durch die Kürze der einzelnen Geschichten habe ich auch weitergelesen, obwohl mir die meisten nicht gefielen – die nächste hätte ja besser sein können. Das kann unter Umständen aufgehen, für mich ging es nicht auf, weil mir der deutlich größere Anteil nicht gefiel. Vielleicht lag es auch nicht primär am Fantasycharakter, sondern an der Kürze der Geschichten, dass sie mir so fern blieben. Im Grunde ist das aber egal, für mich bleibt Band 1 der einzige der Serie. Es gibt ja eh viel mehr (gute) Bücher als man zu lesen schafft.

 

Alan Bradley – Flavia de Luce, Vorhang auf für eine Leiche

Im vierten Band der Reihe kommt jede Menge Leben in die ansonsten so ruhigen Gemäuer des de Luce’schen Familiensitzes Buckshaw. Um den finanziellen Ruin abzuwenden hat Flavias Vater das Herrenhaus an eine Filmcrew vermietet, die dort ausgerechnet kurz vor den Weihnachtstagen mit einer vielköpfigen Mannschaft Einzug halten. Als dann bei einer vom Dekan auf Buckshaw organisierten Bühnenaufführung am Weihnachtsabend die ganze Gegend einschneit und fast die komplette Bevölkerung von Bishop’s Lacey sich auf Buckshaw befindet, wird in der Nacht eine, mit einem Filmstreifen erdrosselte, Leiche gefunden. Natürlich von Flavia, die auch in diesem Fall wieder auf eigene Faust ermittelt und der Polizei ein ums andere mal eine Nasenlänge voraus ist, während sie ausserdem versucht den Weihnachtsmann einzufangen und ein großes Feuerwerk zu planen.

Überaus unterhaltsam. Ich mag Flavia, diese naseweise, chemievernarrte 11-jährige Hobbydetektivin wirklich von Band zu Band noch lieber! 🙂

 

Jane Austen – Stolz und Vorurteil (in der Übersetzung von Karin von Schwab)

Die zauberhafte Geschichte um Miss Bennet und Mr. Darcy hat vermutlich ausser mir schon jede*r gelesen und wer nicht, ist selber schuld. Ich hatte vor einiger Zeit die BBC Verfilmung mit Colin Firth als Mr. Darcy gesehen und spätestens seitdem wollte ich das Buch lesen. Abgehalten hat mich dann eine ganze Weile, dass ich mir bei Klassikern oft mit der etwas sperrigen Sprache ein bisschen schwer tue. Die Befürchtung war aber bei Jane Austen ganz unbegründet. Das liest sich flüssig, sie schreibt ungeheuer jung und spritzig und die Figur der Lizzy Bennet muss für die damalige Zeit aussergewöhnlich gewesen sein, so modern und unabhängig wie sie agiert. Immerhin ist das Buch in 2013 schon 200 Jahre alt geworden.
Fast noch mehr als Elisabeth mag ich den trockenen Humor ihres Vaters:

Nachdem Mr. Bennet sich eines Morgens die Ergüsse seiner beiden jüngsten Töchter eine Weile hatte mit anhören müssen, meinte er: „Soweit ich nach eurem Gerede schließen kann, dürftet ihr die beiden dümmsten Mädchen im ganzen Land sein. Den Verdacht hatte ich schon längere Zeit, aber jetzt weiß ich es mit aller Gewißheit.“

(Jane Austen, Stolz und Vorurteil, Seite 38)

Katja

Gelesen im Februar 2013

Im Februar hatte ich zeitweise 4 Bücher gleichzeitig angefangen und keines davon war ein Roman, was für mich eher ungewöhnlich ist. Und ich habe es wirklich geschafft, die angefangenen Bücher erst zu beenden, bevor ich ein neues anfing. 🙂
Aber ich glaube, der März braucht jetzt wieder mehr ablenkende Lektüre!

Gelesen im Februar:

Tanja Kinkel – Unter dem Zwillingsstern

Dafür, dass Tanja Kinkels Romane mich ansonsten meist schon nach ein paar wenigen Kapiteln völlig in ihren Bann schlugen, brauchte es ziemlich lange bis ich mit ‚Unter dem Zwillingsstern‘ überhaupt warm werden konnte.

Carla und Robert lernen sich als 8-jährige direkt nach Ende des 1. Weltkrieges in München kennen, beide frühreife Wunderkinder, beide wollen sie Schauspieler werden und die beiden verbindet eine lebenslange enge Freundschaft, und zumindest zu Beginn ihrer Karrieren auch ein ständiger Konkurrenzkampf. Den Rahmen der Handlung bildet sehr umfangreich die Theater- und Filmgeschichte, wovon ja letzere noch in den Kinderschuhen steckte und dann in zunehmendem Maße auch die politische Situation in Deutschland während des NS-Regimes. Carla, eigentlich nur für einen 2-Jahres-Vertrag nach Hollywood übersiedelt, verbringt die Kriegsjahre in Amerika. Robert bleibt in Berlin und wandelt stets auf dem schmalen Grat, sich nicht beim Regime anbiedern zu wollen, aber andererseits den Tanz mitzumachen, um seinen jüdischen Ziehvater und einige seiner jüdischen und halbjüdischen Schauspielerkollegen für die er sich verantwortlich fühlt, unterstützen zu können.

Wenn ich jetzt versuche, genauer zu fassen zu bekommen, was mich an dem Buch gestört hat, ist das nicht ganz leicht. Vielleicht ist am Bezeichnendsten, dass ich bisher bei sämtlichen Tanja Kinkel Romanen, die ich gelesen habe, nach Ende der Lektüre den unbedingten Wunsch hatte, mich noch weiter über die spezielle Epoche, das spezielle Thema informieren zu wollen. In diesem Buch betreibt sie so viel Namedropping der Theater- und Filmbranche, dass ich das Gefühl habe, mich reinlesen zu müssen, um die Zusammenhänge ausreichend zu verstehen. Dazu kommt, dass mich die Geschichte des Films nicht so brennend interessiert. Spannender fand ich jene Passagen während der Kriegsjahre in Deutschland und den Einfluss des Regimes auf die Kunst. Das kam mir nur leider insgesamt ein bisschen zu kurz – dafür dass es ein 900 Seiten-Wälzer war.

Und schließlich habe ich auch zum ersten Mal ein Problem mit der Glaubwürdigkeit der Charaktere. Robert und Carla sind beide sehr faszinierend, wirken auf mich aber auch erfunden. Mir fehlt die Vorstellungskraft, dass es diese beiden Typen in dieser Zeit gegeben haben könnte. Und auch einige der anderen fiktiven Charaktere wirkten auf mich sehr zweckdienlich konstruiert, aber nicht warmherzig entwickelt, wie ich ansonsten Tanja Kinkels Charaktere empfinde.

Alan Bradley – Flavia de Luce, Halunken, Tod & Teufel

„Halunken, Tod & Teufel“ ist schon der dritte Band der Reihe und bis gerade eben dachte ich, mehr seien auch noch nicht (auf Deutsch) erschienen, aber das Internet belehrte mich gerade eines besseren: Band 4 „Vorhang auf für eine Leiche“ ist im Oktober schon erschienen und liegt noch vor mir (leider gerade nur im übertragenen Sinne). Was mich, angesichts der Tatsache, dass ich bisher jeden Band noch ein bisschen besser fand als seinen Vorgänger ordentlich freut!

Ich weiss nicht, ob es wirklich die Bücher sind, die besser werden, oder ob mir einfach Flavia von Band zu Band mehr ans Herz wächst und mich mit ihren Eigenheiten zum Grinsen bringt. Alan Bradley ist mit Flavia ein wunderbarer Charakter gelungen. Man möchte diese kleine naseweise, chemieversessene Hobbydetektivin am liebsten im einen Moment ob ihrer Großartigkeit und auch ob ihrer Traurigkeit, wenn ihr manchmal ihre Einsamkeit zu schaffen macht, feste an sich drücken, um sie im nächsten Moment zu erwürgen, wenn sie wieder mal eine ihrer unausstehlichen, nervigen Momente hat. So müssen Helden sein!

In ihrem dritten Fall – und niemand würde nach der Lektüre behaupten wollen, dass es eigentlich Inspector Hewitts Fall gewesen sei – geht es um ein verschwundenes Baby, eine alte sektenartige Religionsgemeinschaft, um eine alte Zigeunerin, ihre Glaskugel und falsche und echte Vorhersagen, um Diebstahl, Kunstfälschung und natürlich um Mord! (Und beinahe geht es darin auch um Freundschaft.)

Mark Logue, Peter Conradi – The King’s Speech

Dieses Buch war nicht meins. Folglich habe ich auch ewig gebraucht, um die nur ca. 270 Seiten zu lesen. Ich hatte hier schon darüber geschrieben, dass das natürlich vor allen Dingen daran lag, dass ich dussligerweise einen Roman erwartet hatte und besser ist mein Eindruck auch nach diesen damals ersten 80 Seiten nicht geworden. Ich hab es eigentlich hauptsächlich überhaupt zu Ende gelesen, um es nicht wieder auf den ungelesenen Stapel legen zu müssen.

Ich hatte beim Kauf fälschlicherweise angenommen, der Film sei die Verfilmung eines Romans und jenen würde ich erstehen. Allerdings war der Film zuerst da und ich werde beim Lesen des Buches den Eindruck nicht los, dass sich hier jemand von den Nachkommen des Sprachtherapeuten von King George VI, unbedingt an den durch den Film zu erwartenden Ruhm ranhängen wollte, um Geld daraus zu machen. Das Buch wirkt wie ein Zusammenschnitt aus erhaltenen Zeitdokumenten, zB den Tagebüchern des Lionel Logue und Briefen, die er vom König erhielt, die oft in indirekter Rede zusammengefasst wiedergegeben werden, mit geschichtlichen Fakten. Dabei mündet die Gratwanderung zwischen Heldenverehrung des eigenen Großvaters (hier schreibt der Enkel des Therapeuten) und dem Versuch, eine Art Sachbuch abzuliefern für mich in gähnender Langeweile.

Immer wiederkehrend dankt der König Logue für seine Dienste. Immer wieder hilft Logue dem König bei der Vorbereitung dieser Reden und gratuliert ihm anschließend dazu, und nimmt selber Glückwünsche aller möglichen Leute dafür entgegen. Mag sein, dass die erhaltenen Dokumente tatsächlich sehr auf diese Inhalte begrenzt sind. Unterhaltsam zu Lesen ist es aber überhaupt nicht. Auch nicht interessant – spätestens nach der 3. Weihnachtsrede des Königs im Radio und dem damit zusammenhängenden 3. Weihnachtsbesuch Logues auf Schloss Windsor nicht mehr.

Nunja für meine falschen Erwartungen kann das Buch nun tatsächlich überhaupt nichts und ich muss wohl bald nochmal den wunderbaren Film mit dem großartigen Colin Firth sehen, um dieses schale Gefühl bei einer eigentlich sehr ergreifenden Geschichte wieder loszuwerden. Wenn sie denn ergreifend erzählt ist.

Antoine de Saint-Exupéry – De lütte Prinz (Plattdüütsch)

Klick.

Anna Brenken – Stille Winkel in Hamburg

Ich erwähnte wohl schon mehrfach, dass Hamburg, wenn es um deutsche Städte geht, mein absoluter Liebling ist. Letzten August war ich seit vielen Jahren wieder mal dort und im Vorfeld ein bisschen ängstlich, dass dieser, von früheren Besuchen dort stammende Eindruck, möglicherweise dem Realitätscheck nicht standhalten könnte – aber ganz im Gegenteil habe ich mich eher noch heftiger in die Stadt verknallt.

Bei diesem kurzen Besuch im letzten Jahr, gaben wir uns vor allem die volle Touridröhnung mit Stadtrundfahrt, Alsterrundfahrt und Hafenrundfahrt. Aber schöner waren da schon jene Augenblicke, wo wir einfach durch die Straßen schlenderten und die Stadt auf uns wirken ließen und das ist auch meine bevorzugte Art, fremde Städte zu erkunden.

„Stille Winkel in Hamburg“ passt gut zu diesem Bedürfnis die touristischen Pfade zu verlassen und, anstelle der Hektik der Stadt, die Ruhepunkte mittendrin zu entdecken. Das Buch stellt zahlreiche davon vor. Dabei werden Informationen über die Geschichte der jeweiligen Orte gleichermaßen eingeflochten wie neuere Entwicklungen im Stadtbau. Und ich könnte mir vorstellen, dass die Lektüre auch bzw. gerade für Bewohner der schönen Hansestadt interessant wäre. Im Alltag hetzt man ja noch häufiger mit Scheuklappen durch die Umgebung als auf Reisen.

Irgendwie am meisten fasziniert hat mich das Kapitel über die „Tropfsteinmaschine„, einem Kunstprojekt bei dem bei einer Betriebsdauer von 500 Jahren durch stete Tropfen ein Tropfstein wachsen soll. Ca. 10 mm wächst so ein Tropfstein in 100 Jahren, in der gesamten Vertragslaufdauer (denn für diese 500 Jahre sind Wartung und Betrieb vertraglich festgelegt) wächst er also 5 cm. 5 Zentimeter. In 500 Jahren.

Aber ich schweife ab, es geht ja um Hamburg.

Schon während des Lesens waren zwei Dinge für mich ganz klar:

1. Ich muss bald mal wieder nach Hamburg. Das Buch hat mir wahnsinnige Sehnsucht nach der Stadt gemacht.
2. Beim nächsten Hamburgbesuch muss das Buch mitreisen.

Denn das war eigentlich auch das größte Manko beim Lesen, dass ich nicht sofort losziehen konnte, um mir die stillen Winkel in echt anzuschauen.

Alice Miller – Das Drama des begabten Kindes

Darüber hatte ich hier schon ein paar Sätze geschrieben.

An dem dünnen Büchlein hatte ich jetzt ein halbes Jahr lang gelesen, weil ich mich dem Thema nur in ganz kleinen Dosen stellen konnte und jetzt überlege ich, ob ich es direkt wieder auf den ungelesenen Stapel zurücklege, um es nochmal, zusammenhängender, zu lesen.

Mich hat die Lektüre einen ganzen Schritt vorangebracht, auf dem Weg, mich selber zu verstehen. Was sich irgendwie schräg aufschreibt, weil es genau das ist, was ich gelernt habe: das rein intellektuelle Verstehen meiner Kindheit reicht nicht aus. Jener Schritt, der mir so oft fehlt in den letzten Jahren ist der, dass ich nicht weiss, was ich mit diesem Wissen jetzt anfangen kann, um diese Kindheitserfahrungen zu überwinden. Und da hat mir Miller weitergeholfen, weil sie sagt, dass man emotional Zugang zu den Kindheitsgefühlen bekommen muss. Dass man den ewig verdrängten Schmerz zulassen und durchleiden muss und dass man sich erst dann davon – und von all seinen Folgen, die das Erwachsenenleben belasten – befreien kann. Wie ich mich dem stellen soll, weiss ich noch nicht. Es ist ja eine Sache, zu versuchen, solche Dinge durch Denken verstehen zu wollen, wie man aber Zugang zu diesen Gefühlen bekommt, weiss ich noch nicht. Aber immerhin liefert das Buch mir einen weiteren Schlüssel und ich muss „nur“ (haha) herausfinden, wie ich ihn anwenden kann.

Harter Tobak, das Buch, aber sehr empfehlenswert für alle, die noch an ihrem Kindheitsballast zu kauen haben – und speziell für jene mit Gewalterfahrungen, auf die Miller immer wieder eingeht.

Katja

52 Bücher, Teil 14

Wuhu, schon der 14. Teil des 52 Bücher Projektes, damit ist ja schon über ein Viertel vorbei. Und für mich ist das immerhin auch schon das 6. von den 14 Themen, bei dem ich jetzt mitmache. Dafür, dass ich von vornerein nur mal so gelegentlich wollte, ist das ja gar nicht so übel. 😀

Am aktuellen Thema wäre ich eigentlich laut pfeifend vorbeigegangen und hätte es links liegen lassen – es lautet nämlich

‚Das Fahrrad in der Weltliteratur‘

– wenn ich nicht gerade vor wenigen Tagen erst ein wunderbares Buch ausgelesen gehabt hätte, bei dem ein Fahrrad eine ganz zentrale Rolle spielt.

Denn seien wir mal ehrlich: Ohne ihr Fahrrad Gladys hätte Flavia de Luce diesen ‚Mord im Gurkenbeet‘ niemals auflösen können. Immerhin bringt die alte Gladys sie fast überall dahin, wohin Flavia im Rahmen ihrer Ermittlungen hinmusste.

Aber soll doch lieber Flavia selber etwas über Gladys erzählen:

Bevor ich es aus seiner rostigen Vergessenheit erlöste, hatte mein treues altes BSA-Rad jahrelang zwischen Blumentöpfen und hölzernen Schubkarren in einem Geräteschuppen gestanden. Wie manch anderes bei uns auf Buckshaw hatte es einmal Harriet gehört. Sie hatte es seinerzeit l’Hirondelle genannt: die Schwalbe. Ich hatte es umgetauft, jetzt hieß es Gladys.
Gladys‘ Reifen waren platt gewesen, ihre Gangschaltung hatte nach Öl gelechzt, aber mit der zugehörigen Luftpumpe und der schwarzen Lederwerkzeugtasche hinter dem Sattel war sie bestens ausgerüstet. Mit Doggers Hilfe hatte ich sie alsbald tipptopp aufgemöbelt. Obendrein hatte ich in dem Schuppen eine Broschüre mit dem Titel Fahrradfahren für Frauen jeglichen Alters gefunden, verfasst von einer gewissen Prunella Stack, ‚Vorsitzende des Damenvereins zur Pflege von Gesundheit und Schönheit‘. Auf dem Einband stand mit schwarzer Tinte und in einer schönen, geschwungenen Handschrift: Harriet de Luce, Buckshaw.
Manchmal war Harriet gar nicht tot – dann war sie überall.
Als ich im Affentempo vorbei an den schiefen, moosbewachsenen Grabsteinen im überfüllten Friedhof von St. Tankred durch enge, baumbestandene Sträßchen, über die kreidige Hauptstraße und dann über Land heimwärts radelte, ließ ich Gladys freien Lauf.

(Alan Bradley, Flavia de Luce, Mord im Gurkenbeet, Seite 81, 82)

 

Najaaa gut. Streng genommen erzählt das natürlich nicht Flavia selber sondern Alan Bradley legt es seiner 11-jährigen, chemiebegeisterten und darin auch hochbegabten, mit zwei älteren Schwestern geplagten, naseweisen und sich sympatischerweise auch gelegentlich irrenden Amateurdetektivin in den Mund.

Die Charaktere sind, obwohl sie alle sehr skurril daherkommen, doch allesamt irgendwie liebenswert und vor allem trotz der fastschon Überzeichnung glaubwürdig, also im Rahmen ihrer Geschichte.

Um’s nochmal mit Alan Bradleys Worten zu sagen, dieses Mal jenen, die er der Köchin Mrs. Mullet in den Mund legt:

„Miss Harriet pflegte zu sagen: ‚Die de Luces sind allesamt steife Rhabarber und stachlige Stachelbeeren, Mrs M, aber Ihr Alf, das ist mal ein richtig netter, sanfter Schmandmann. Seien Sie doch so gut und backen Sie ab und zu einen schönen Schmandkuchen, damit wir uns bewusst werden, wie hochnäsig wir sind, und wenn wir dann die Nase rümpfen, tja, dann nehmen Sie den Kuchen eben Ihrem Alf als süße Entschädigung mit heim.‘
Und ich geb gern zu, dass ich in den letzten zwanzig Jahren reichlich Entschädigungen mit heimgenommen hab.“

(Alan Bradley, Flavia de Luce, Mord im Gurkenbeet, Seite 275, 276)

 

Man muss sie einfach mögen, allesamt. 🙂

Bei Mandy (in deren Richtung ich gerade breit grinse und winke) gab’s auch schon im Rahmen des Projektes über Flavia zu lesen, da über den zweiten Band (dem ich natürlich mittlerweile auch entgegenlechze) und lesen wollte ich das schon seit ich zum ersten Mal bei Corina was über Flavia gelesen hatte.
Und auch im Nachtschläferblog gibt’s Berichte über den zweiten Band.

Katja