Stationen eines Raucherlebens

Mit 12, 13 haben all meine Freundinnen zum ersten Mal getestet, wie das so mit dem Rauchen ist. Damals hatte ich viel zu viel Angst vor den Drohungen meines Vaters, falls er mitbekäme, dass ich rauche, als dass ich mich getraut hätte, das auch auszuprobieren. Erzählt habe ich das damals natürlich niemandem, sondern versucht, mich über die „cool, weil ich nicht alles mitmache“-Schiene rauzuwinden.

Mit 15 habe ich meine erste Schachtel Zigaretten gekauft – noch bevor ich meinen ersten Zug an einer Zigarette gemacht hatte – und habe die Phase des Ausprobierens und Testens ausgelassen und direkt angefangen zu rauchen. Die meisten meiner Freundinnen hatten bis dahin längst wieder aufgehört.

Mit 17 war ich zusammen mit 2 älteren Freundinnen auf Kreta im Urlaub. Wir alle rauchten eigentlich sehr in Maßen, hatten uns (zusammen) auf dem Hinflug eine Stange Duty-Free-Camel-Lights gekauft, die aber nicht mal eine Woche überlebt hat, weil wir urplötzlich als wir so ganztägig zusammen waren, doch alle recht viel geraucht haben. Wir probierten diverse Sorten griechischer Zigaretten durch von denen uns allesamt schlecht wurde und schnorrten uns abends an der Pool-Bar bei den österreichischen Jungs durch, die irgendwo amerikanische Marlboro aufgetrieben hatten. Nachdem die 2 Tage vor uns abgereist waren und das griechische Zeug so gar nicht ging, rauchten wir einfach gar nicht mehr und beschlossen, wir seien jetzt Nichtraucherinnen. Den Duty-Free-Einkauf auf dem Heimweg ließen wir ganz stolz ausfallen.
Am Tag nach unserer Rückkehr war in der Kleinstadt in der Nähe das große Stadtfest. Wir trafen uns frierend, noch mit dem letzten Sonnenbrand auf der Nase, freuten uns all unsere Freunde wiederzusehen, hatten keine 30 Minuten nach Ankunft auf dem Fest die ersten Zigaretten im Mund stecken und nach 2 Stunden wieder die ersten eigenen Schachteln in den Jackentaschen.
Diese 3, 4 Tage ohne Zigarette sollten meine längste Rauchunterbrechung in 22 Jahren Raucher“karriere“ gewesen sein – was, wenn ich das auch nur ansatzweise hätte ahnen können, vermutlich dazu geführt hätte, dass ich mein gerade mal nicht vernebeltes Gehirn auch benutzt hätte.

Mit 18 dachte ich zum ersten Mal ernsthaft, dass Rauchen ja eigentlich ganz schön blöd, gesundheitsschädlich und teuer noch dazu sei und dass ich eigentlich doch mal aufhören könnte. Ich verschob das aber lieber auf das Ende meiner Ausbildung, weil ich mir nicht vorstellen konnte, mit dem Prüfungsstress ohne Zigaretten fertig werden zu können.

Mit 19 bekam ich von meinem Abteilungsleiter ein anderes Aufgabengebiet zugeteilt und wurde in ein anderes Büro versetzt. Vorher saß ich jahrelang mit einem ebenfalls rauchenden Kollegen zusammen und wir mussten häufig schon vor der Mittagspause unsere überquellenden Aschenbecher zum ersten Mal ausleeren. Ab dann sollte ich das Büro mit einer nichtrauchenden Kollegin teilen. Meine nichtrauchende Kollegin und ich, hatten uns sehr gerne und freuten uns darüber in Zukunft zusammenzuarbeiten, aber die Vorstellung, zu arbeiten, umgeben von etlichen Gesetzestexten komplizierte Bescheide zu verfassen, ohne dabei rauchen zu können, trieb mir den Schweiss auf die Stirn und ließ mich panisch werden. Lieber wollte ich direkt ganz aufhören zu rauchen als dass ich mich so quälen müsste nicht rauchen zu können.
Nach zwei Tagen ohne Zigarette und dann mittlerweile auch ohne Fingernägel, grinste mich meine nichtrauchende Kollegin an und sagte (ich glaube, den Wortlaut werde ich nie vergessen) „Katja, ich hab dich von Herzen gerne, aber wenn du nicht rauchst, bist du unausstehlich. Geh bitte lieber zwischendrin zum Uli zum Rauchen und du darfst hier auch abends rauchen, wenn ich schon weg bin, wenn du gut lüftest, aber fang um Gottes willen wieder an. So richtig aufhören willst du doch eh nicht.“

Mit 21 steckte ich in einer drei-jährigen Fortbildung, bei der ich einmal pro Woche zum Unterricht beim Verwaltungsschulverband musste. Dieser fand in Gießen im Gebäude des Gesundheitsamtes statt. Als wir einmal in der Pause auf dem Flur standen und rauchten, kam ein älterer Mann aus der Glastür gegenüber, die zum Gesundheitsamt führte. Er sah uns rauchend, kam auf uns zu und hielt sich solch ein Gerät an die Kehle, wie sie Menschen nach Kehlkopfkrebsoperationen zum Reden benötigen und sagte uns, wir sollten klüger sein als er und unsere Gesundheit durch dieses Teufelszeug nicht so leichtfertig auf’s Spiel setzen.
Wir waren allesamt total betroffen und drückten direkt unsere Zigaretten aus. In der nächsten Pause standen wir in der gleichen Runde wie in der vorherigen Pause zusammen und rauchten eine Zigarette. Wir schauten uns teilweise verlegen an – den Mann erwähnte keiner von uns.

Mit 23 verschob ich das Aufhören, das mir immer wieder durch die Gedanken huschte, weil ich kurz vor der Abschlussprüfung des Lehrgangs stand und nicht wusste, wie ich den Prüfungsstress ohne Beruhigungszigaretten überstehen sollte.

Mit 25 wurde mir bewusst, dass ich schon seit 10 Jahren rauchte. Auf den Schock, den mir die Erkenntnis versetzte, musste ich erst mal eine rauchen, vielleicht waren es auch zwei. Die kleine Stimme in meinem Kopf sagte „Verdammt. Eigentlich solltest du jetzt wirklich mal aufhören.“ Eigentlich und solltest konnte die gut, auch in den folgenden Jahren.
Die große Stimme erinnerte die kleine daran, dass ich mittlerweile wieder die Schulbank drückte, um mein Abi im Zweiten Bildungsweg zu machen und fragte die kleine, wie sie sich das denn vorstelle, die ganzen Klausuren, den Stress, die 2 Stunden Autofahrt pro Tag und dann die Prüfung und das ohne Zigaretten. Die kleine verstummte und flüsterte nur zu seltenen Gelegenheiten ihr eigentlich und solltest.

Mit 26 war ich mit meiner Tutorengruppe auf Studienfahrt, eine Woche segeln auf dem Ijsselmeer! Wir waren 20, davon 18 Raucher. Fast alle ausser mir drehten damals schon nur noch selber. Ich hatte eine Stange Kippen mit für die Woche – nach 2 Tagen war sie alle. Drehen war bei Wind auf einem Segelboot nicht ganz so einfach und so hatten meine Filterkippen sobald ich eine neue Schachtel aufmachte, quasi keine Überlebensdauer.
Beim nächsten Ausflug an Land kaufte ich mir Tabak, seitdem hatte ich mir nur noch in Ausnahmefällen Filterkippen gekauft. Anfangs aus kostengründen, später mochte ich die einfach nicht mehr.

Mit 30 saß ich fast die komplette wache Zeit am Rechner und fast die komplette Zeit am Rechner hatte ich eine Zigarette in der Hand oder im Aschenbecher liegen, oft auch beides gleichzeitig ohne es zu merken. Ich rauchte für die nächsten Jahre 30 bis 50 Zigaretten pro Tag. Da bei den Selbstgedrehten (noch dazu bei 200 Gramm Tabakdosen) das Gefühl von „schon wieder ’ne Schachtel leer“ fehlte, dauerte es ziemlich lange, bis ich das überhaupt realisiert / mir selber eingestanden habe.

Als vor ca. 2,5 Jahren der Umzug in diese Wohnung hier anstand, dachte ich vorher halbherzig darüber nach, nicht mehr in der Wohnung zu rauchen. Da Rauchen und Rechner jedoch für mich untrennbar miteinander verbunden war, räumte ich mir selber eigentlich keine Chance ein, dass ich das hinbekommen könnte.
Das Osterwochenende verbrachte ich komplett zum Renovieren in der neuen Wohnung und da es ja nur die paar Tage waren und noch dazu nichtrauchende Hilfe hier war, bekam ich das irgendwie hin ohne drinnen zu rauchen. Bei der Rückkehr in die alte Wohnung hat es mich beinahe umgehauen. Obwohl da 5 Tage lang niemand drin geraucht hatte und obwohl die Fenster in dieser Zeit gekippt und nicht geschlossen waren, erschlug mich der Gestank nach kaltem Rauch beim Betreten der Wohnung.
Noch mehr als der Gestank in der Wohnung schockierte mich der Gedanke, dass ich jahrelang 24/7 in dem Mief verbracht hatte ohne es zu merken.
Immer, wenn ich in der neuen Wohnung auch nur den Hauch eines Zweifels verspürte, ob die Entscheidung draussen zu rauchen nicht total bescheuert gewesen sei – speziell an so kalten Wintertagen, wie die letzten Tage hier waren – reichte mir die Erinnerung an diesen Moment des Wohnungsbetretens, um die Gewissheit zu haben, dass es die beste Enscheidung überhaupt war.
Der positive Nebeneffekt war, dass ich – ohne mich dafür anstrengen zu müssen oder auch nur darüber nachdenken zu müssen – dadurch, dass ich nicht mehr am Rechner rauchte und für jede Zigarette auf die Terasse ging, von den 30 bis 50 pro Tag nahtlos zu 8 bis 15 pro Tag übergegangen bin und sich das schon viel gesunder anfühlte und ich besser Luft bekam.

Vor einem Jahr, am 20. Dezember, war meine Freundin aus Innsbruck für ein Wochenende zu Besuch bei mir. Ausgerechnet an diesem Wochenende hat mich die schlimmste Erkältung seit vielen Jahren erwischt. Ich war so unfit, dass ich am liebsten nur im Bett gelegen hätte. Gegen 17 Uhr am 20. Dezember standen wir zusammen frierend – trotzdem wir warm eingemummelt waren – auf meiner Terasse und haben zusammen eine geraucht. Abends haben wir Horton hört ein Hu geguckt (statt wie geplant über den Weihnachtsmarkt zu schlendern) und ich hab schon die Feuerzangenbowle verschmäht und nur Kamillentee getrunken. Am nächsten Tag habe ich mich direkt nach ihrer Abreise wieder ins Bett gelegt und bin auch nicht wieder aufgestanden.
Nachdem ich 2 Tage nicht geraucht hatte, wollte ich eigentlich endlich (!) wieder raus gehen um eine zu rauchen. Aber irgendso ein kleines Fitzelchen Verstand kam durch, nachdem ich 2 Tage clean war und pflanzte mir den Gedanken in den Kopf, dass ich ja eigentlich ganz genau wisse, was passiert, wenn ich jetzt rauche. „Erst wird dir schwindlig, bist ja eh durch die Erkältung voll wacklig auf den Beinen. Dann wirst du gar nicht richtig ziehen können, weil das viel zu weh tut. Der Rauch wird im Hals und Rachen brennen und einen ekligen Hustenkrampf auslösen sobald er in der Lunge ankommt. Du wirst 2 oder 3 vorsichtige Züge machen und die Zigarette dann eh ausmachen, weil’s nicht geht. Ein paar Stunden später wirst du dich wieder mit deiner fiesen Erkältung raus in die Kälte stellen und den nächsten Versuch starten, ob’s vielleicht schon besser geht. Spätestens nach 2, 3 Tagen, wenn die Erkältung endlich wieder weg ist, werden die Kippen endlich nicht mehr wehtun und dir wird nur bei den ersten 1 oder 2 schwindlig werden, dann kannst du wieder weitermachen wie in den letzten Jahren.“ Obwohl oder vielleicht auch gerade weil ich Fieber hatte, waren diese Gedanken total klar und ich habe mich gefragt, wieso ich mir das mit dem Probieren ob’s geht mit dem Rauchen überhaupt geben muss, wenn ich doch sowieso vorher schon so genau weiss, wie es sich anfühlen wird. Dass ich mit der Einschätzung wie es sich anfühlen würde, richtig lag, war mir irgendwie völlig klar, ich hatte ja genügend Erfahrungen im Rauchen trotz Kranksein gesammelt über die Jahre. Ich ließ es also bleiben und dachte, ich könne auch noch genauso gut wieder rauchen, wenn’s mir etwas besser ginge und es nicht so weh täte.
Als ich 3, 4 Tage nicht geraucht hatte und immer noch nicht wieder gesund war, dachte ich, ich könnte ja einfach heute nochmal abwarten und dann morgen wieder rauchen. Am nächsten Tag dann das gleiche Spiel. Als ich eine Woche hinter mir hatte, dachte ich, dass ich jetzt so lange ohne Zigarette durchgehalten hätte, dass es schon einer großen Portion Dummheit bedürfe, jetzt nicht wenigstens einen Versuch zu starten, noch einen Tag mehr durchzuhalten.

Es dauerte 2, 3 Wochen bis ich mich zum ersten Mal wirklich traute, den Gedanken „ja, aber was, wenn ich’s einfach ganz bleiben ließe“ weiterzudenken und ich hätte selbst nach 3 Monaten noch nicht geglaubt, dass das tatsächlich klappen könnte.

Gerade in diesem Moment, wo ich mich an so viele dieser Stationen zurückerinnere, wird mir ganz schwindlig und auch nach einem Jahr ist in solchen Situationen immer noch der Impuls da, eine rauchen zu gehen, um wieder runter zu kommen. Speziell, wenn ich an meine letzte Zigarette denke und dass ich damals nicht geahnt habe, dass es die letzte würde und dass ich, falls ich es geahnt hätte, vermutlich vor Angst, dass ich ohne nicht kann, direkt noch eine hätte rauchen müssen und wenn mir dann klar wird, dass ich es – so süchtig wie ich war – vermutlich nicht geschafft hätte, ganz bewusst die Entscheidung zu treffen „so, das ist die letzte“ und das auch durchzuziehen, fühlt sich das immer noch so flau an und ich kann mich noch so gut in meine Raucherzeit reinversetzen, dass ich denke, ich müsste mir sofort eine anzünden.

Ich tu’s nicht, ich gehe nicht raus, ich zünde mir keine an. Eine der großartigsten Erkenntnisse des Aufhörens war, dass ich nicht (mehr) rauchen muss. Niemand – weder eine Person, noch eines meiner Gefühle, wie Trauer, Freude, Stress, Überforderung – kann mich dazu zwingen. Ob ich rauche oder nicht ist ganz alleine meine Entscheidung. Und wenn ich rauche, dann ist das in-die-Tonne-treten des letzten Jahres und des teilweise wirklich schlimmen Entzuges (nicht körperlich aber psychisch) alleine meine Verantwortung und nicht die der Umstände.

Natürlich wäre es mir lieber, ich hätte gar keinen Gedanken mehr ans Rauchen, aber ich weiss nicht, ob ich jemals so weit von der Sucht wegkommen werde, dass der Impuls und das Verlangen ihm nachzugeben verschwinden wird. Noch ist das Ganze mit Kampf verbunden, aber ich habe so viel dadurch gewonnen, etwas „aufgegeben“ zu haben, dass ich nicht im Traum auf die Idee käme, wieder zu rauchen.

Katja, die hofft, in der nächsten Zeit auch noch die Ruhe zu finden, das letzte Jahr ohne Zigaretten Revue passieren zu lassen

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