Als wir in die neue Wohnung zogen und ich zum ersten Mal ohne Schuhe im wirklich riesigen Flur unterwegs war, war mein erster Gedanke „Was für ein Pfusch. Die Fliesen sind total schief und hubbelig*.“, denn das sind sie tatsächlich. Viele Fliesen stehen leicht schräg und ragen an einem Rand deutlich über die Fuge, andere sind komplett ein bisschen erhöht und ragen ganz heraus, manche liegen auch ein bisschen tiefer, insgesamt kann man kaum einen Schritt machen, ohne dass einem, sofern man barfuß unterwegs ist, auffällt, dass da etwas schief ist.
Es dauerte nicht lange bis mir auffiel, dass ich erstaunlicherweise extrem gerne und extrem oft barfuß durch den Flur laufe, dass ich manchen Laufweg ganz bewusst wähle, um eine bestimmte Unebenheit unter den Fußsohlen zu spüren. Und dann kam mir der Besuch im Hundertwassermuseum in Wien, wo ich im Februar war, wieder in den Sinn und dass dort die Böden ganz absichtlich größere Unebenheiten aufweisen und dass Hundertwasser – den ich noch mehr schätze, seit ich in dem Wiener Museum nicht nur seinen Bildern und seiner Architektur, sondern auch vielen seiner Gedanken zum Menschsein begegnet bin – auch zum unebenen Boden Gedanken festgehalten hat.
Der gerade Boden ist eine Erfindung der Architekten. Er ist maschinengerecht und nicht menschengerecht.
Die Menschen haben nicht nur Augen, um sich an Schönem zu erfreuen, und Ohren, um Schönes zu hören, und Nasen, um Schönes zu riechen. Der Mensch hat auch einen Tastsinn für Hände und Füße.
Wenn der moderne Mensch gezwungen wird, auf asphaltierten, betonierten, geraden Flächen zu gehen, so wie sie in den Designerbüros gnadenlos mit dem Lineal konzipiert werden, entfremdet von natürlicher Erdbeziehung und Erdberührung, so stumpft ein entscheidender Bestandteil des Menschen ab, mit katastrophalen Folgeerscheinungen für die Psyche, das seelische Gleichgewicht, das Wohlbefinden und die Gesundheit des Menschen.
Der Mensch verlernt zu erleben und wird seelisch krank.
Ein belebter, unebener Fußboden bedeutet eine Wiedergewinnung der Menschenwürde, die dem Menschen im nivellierenden Städtebau entzogen wurde.
Der unebene Wandelgang wird zur Symphonie, zur Melodie für die Füße. Er bringt den ganzen Menschen in Schwung.
Architektur soll den Menschen erheben und nicht erniedrigen.
Man wird gerne auf dem unebenen Boden auf und ab gehen, um sich zu erholen und um das menschliche Gleichgewicht wiederzufinden.
Hundertwasser, April 1991
Und tatsächlich fühlt es sich so an im neuen Flur. Die Unebenheiten stören mich nicht mehr, sie machen die neue Wohnung nicht nur sicht- sondern auch spürbar.
Katja
(*Das wird in meiner alten Heimat für hügelig / bucklig verwendet und weil ich natürlich nach wie vor manche Worte im Dialekt des Heimatdorfs denke, wovon ich glaube, dass man solche Angewohnheiten wahrscheinlich nie ablegt, dachte ich natürlich „hubbelig“ – ein Wort, dass man ohnehin viel häufiger verwenden sollte, wenigstens denkend – und nicht hügelig. [Übrigens nicht zu verwechseln mit „hibbelig“, das für nervöse Stimmung, inklusive heftigen Rumzappelns steht.])