Immer die Schutzfolie drauf lassen…

Ich habe seit Jahren eine weiße Hose im Schrank hängen, die aus herrlich dünnem luftigen Stoff ist. Total ideal für heiße Sommertage. Am heißesten Tag der letzten Woche, habe ich mich mit Anette ( ❤ ) in Mannheim getroffen und stand vorher ratlos vorm Schrank, weil ich nicht wusste, was ich bei der Hitze anziehen sollte, wenn ich den ganzen Tag unterwegs bin und es hat sehr lange gedauert bis ich auf jene weiße Hose kam. Das liegt daran, dass ich sie zwar für diese Eigenschaften sehr schätze, sie aber trotzdem quasi nie trage. Sie ist nämlich weiß. Weiße Klamotten haben bei mir die Angewohnheit, binnen Nanosekundenfrist nicht mehr weiß zu sein, sondern irgendwo Flecken zu haben. Also trage ich quasi nie welche, obwohl ich tatsächlich auch im Besitz einiger weißer Shirts bin.

Als ich also an jenem Morgen vor dem offenen Kleiderschrank stand, ging mir das alles im Kopf herum und wie beknackt das eigentlich ist, eine Hose zu kaufen, weil sie so ideal für dieses Wetter geeignet ist und sie dann nicht anzuziehen, weil sie schmutzig werden könnte und mir fiel auf, dass das bei mir ein durchgängiges Muster ist…

Meine Tastatur hat Ränder in Hochglanzschwarz. Als ich sie kaufte klebte darauf eine Schutzfolie und ich ließ die Folie so lange drauf bis sie sich selber an den Rändern abribbelte. Ebenso ließ ich monatelang die Displayschutzfolie auf dem kleinen Display des Festnetztelefons kleben, damit da nur ja keine Kratzer drauf kommen.

Alles, was sich irgendwie vor Schaden bewahren und schützen lässt, schütze ich. Mein Händi habe ich stets in einer Hülle und als es neu war und ich erst eine kaufen musste, habe ich es in eine Flauschesocke gepackt, um es in der Handtasche nicht zu zerkratzen und ich habe mal ein sehr dickes Taschenbuch (eine signierte Version von „Die Säulen der Erde“ von Ken Follet) nur mit zwei Händen ganz vorsichtig und nur gerade eben so weit aufgeklappt, dass ich bis zur Mitte der Seiten hin lesen konnte, damit der Buchrücken keine Knicke bekommt, was bei solchen dicken Wälzern beim Lesen ja nicht ausbleibt.

Das eigentlich Schlimme daran ist, dass mir bewusst geworden ist, dass das alles auch ein wenig bezeichnend dafür ist, wie ich seit Jahren mein Leben lebe… Immer vorsichtig, immer mit Angst, nur nix dreckig machen, nur nix kaputt machen, immer lieber gemäßigt, nie die Kontrolle verlieren, nix Weißes anziehen, lieber mal die Schutzfolie drauf lassen…

Katja (gerade an einer Ecke der Schutzfolie über’m Leben rumknibbelnd, vorsichtig natürlich, damit sie nicht reißt 😀 )

 

 

 

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Über viel Angst und ein bisschen entspannte Scheissegaligkeit

„Aber was oder wer oder wie bin ich dann überhaupt?“ frage ich in der letzten Sitzung bevor ich wieder losheulen muss. So viel Fremdbestimmung im Kopf, so viele „Werte“ und Vorstellungen, die auf einmal in Frage stehen, von denen ich nicht weiss, ob sie überhaupt eine Bedeutung haben und wo sie überhaupt herkommen. Naja doch, letzteres weiss ich eigentlich verdammt gut. Nur nicht, wieso zur Hölle sie immer noch so tief und fest in mir sitzen und vor allem, wieso mir das schon so viele Jahre nicht bewusst ist. Und damit meine ich nicht mal alle Lebensjahre, sondern nur die letzten, die in denen ich eigentlich ja ziemlich reflektiert war. Dachte ich. War ich vermutlich auch. Und trotzdem ist da dieser große blinde Fleck gewesen, diese Gedanken und Gefühle, die so tief in mir verschlossen sind, dass mir ihre Existenz nicht mal bewusst war.

Dass Therapie kein Spaziergang ist – auch wenn ich hinterher häufig einen mache, um den Kopf freizulaufen – wusste ich schon von vorherigen, viel weniger hilfreichen, Therapien. Dass es so dermaßen in harte Arbeit ausarten könnte, so dermaßen anders verlaufen könnte, als ich mir vor und zu Beginn vorgestellt hatte und dass sich so dermaßen viele neue Baustellen in mir auftun würden, statt dass sich alte erledigen, hätte ich nicht geahnt.

Jetzt also richtig. Und richtig gründlich. Kein „Herumdoktorn“ an Symptomen sondern der Versuch an die Ursachen zu kommen und während ich das schreibe, spielt die kopfeigene Band die Schlusssequenz von „Sweet Transvestite“ aus der Rocky Horror Picture Show und Tim Curry alias Frank N Furter sagt schon im Aufzug stehend „…so I’ll remove the cause… but not the symptom“ bevor er sein kleines Lachen lacht, wohingegen ich die Augen aufreisse, wie es nur Susan Sarandon als Janes Weiss besser hinbekommt, weil mir das, was da gerade passiert unglaubliche Angst macht.

Nie vorher wusste ich gründlicher und in größerem Ausmaß nicht, wer oder besser wie ich überhaupt bin und wo mir normale Ungewissheiten wie zB „Wird das Paket ausgerechnet jetzt kommen, wenn ich schnell auf’s Klo flitze?“ schon zusetzen, macht mir das hier richtig gründlich zu schaffen. Was wird am Ende dabei rauskommen? Wer bin ich dann? Wie bin ich dann? Wird sich überhaupt so viel ändern, wie es mir gerade vorkommt, dass sich ändern wird? Wird das überhaupt alles in nur so wenig Zeit reinpassen? Werde ich die, die ich werde, wirklich mehr mögen oder vielleicht noch weniger als die aktuelle Version von mir? Und ich merke, wie mir alle diese Fragen die Luft abschnüren, wie sie es mir schwer machen, mich auf das alles einzulassen.

Und dann sind da diese anderen Momente. Die, in denen ich schon merke, dass sich etwas… nein besser: dass ich mich schon verändert habe und wie sehr. Dass da auf einmal immer mal ein völlig neues Selbstbewusstsein rausblitzt – das mich dann natürlich direkt im nächsten Moment selber erschreckt. Und ich meine damit echtes Selbstvertrauen, keine lockere Flapsigkeit, das konnte ich trotz allem erstaunlicherweise immer recht gut. Aber jetzt ist es zusätzlich noch ein für mich selber Eintreten und DAS konnte ich wirklich noch nie. Bei all der vielen neuen Angst, geht an der Stelle auch welche verloren und wird durch ein bisschen entspannte Scheissegaligkeit ersetzt.

Katja

 

Gewohnheit, die

Substantiv, feminin
Worttrennung: Ge|wohn|heit
durch häufige und stete Wiederholung selbstverständlich gewordene Handlung, Haltung, Eigenheit; etwas oft nur noch mechanisch oder unbewusst Ausgeführtes

(Quelle: Duden)

Der Kopf so voll und doch fällt es mir so schwer wie seit Jahren nicht, ihn hier auszukippen. „Alles eine Frage der Gewohnheit“ habe ich selber oft genug gedacht und auch gesagt, wenn es darum ging, die (Schreib-)Hemmung abzulegen und Gedanken einfach in Worte zu fassen. Jetzt bin ich selber die mit der Entwöhnung und finde nicht so richtig rein und merke doch dauernd wie sehr mir das (Auf-)Schreiben fehlt. So viele Gedanken im Kopf, so vieles, was sich in mir tut und was dringend aufschreibens- weil festhaltenswert wäre und dann nehme ich mir doch wieder nicht die Zeit dafür.

Also jetzt erst mal wieder anfangen, hinsetzen, die Finger auf die Tastatur und los. Das, was gerade durch den Kopf schwirrt, damit sich der Kopf und die Hände wieder daran gewöhnen, was das hier alles soll. Und das jetzt gleich, ungeachtet des „aber es ist doch schon wieder so spät und ich hab ja gar nicht richtig Zeit und müsste doch eh dringend mal ins Bett“ im Kopf. In der Zeit bis ich das zu Ende gedacht und mich über mich selber geärgert habe, weil ich es nicht mehr hinbekomme, mit dem Gedanken sortieren und aufschreiben, hab ich die 3, 4 Sätze auch tatsächlich aufgeschrieben. Jetzt. Hier.

Für’s erste überhaupt was. Genug. Ich muss nämlich tatsächlich ins Bett.

Schlaft gut!

Katja