Holunderdepressionen

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Es ist dieser Tage immer wieder die gleiche Grenze, an die ich stoße und die ich bei mir lange lange nicht mehr wahrgenommen hatte. Ich kann mich nicht richtig freuen. Und das ist Mist und das macht mir mehr als deutlich, wie schlecht es mir eigentlich, tief in mir drinnen geht, während ich aussen versuche mir vor mir und allen anderen nichts anmerken zu lassen.

Vorhin habe ich Holunderblütengelee gekocht. Gelee oder Marmeladekochen ist etwas, was ich _eigentlich_ unheimlich gerne mache, weil – und das ist speziell bei Holunderblütengelee so – die halbe Wohnung hinterher duftet. Danach habe ich – und das mache ich auch fast immer direkt nach dem Marmeladenkochen – direkt das erste Brot mit dem noch lauwarmen Gelee probiert. Und normalerweise ist spätestens das der Moment, indem ich in Glückseligkeit versinke, weil es nicht nur lecker ist, sondern sich auch total gut anfühlt zu wissen, dass ich das gerade selber gemacht habe. Gestern waren diese zwanzig Blütendolden zwanzig unter vielen hundert an einem Strauch am Rheinufer und heute habe ich diesen herrlichen holundrigen Hauch von Sommer in Gläsern konserviert in meiner Küche stehen. Und während ich das tippe, erinnere ich mich daran, wie glücklich mich das normalerweise machen würde und höre in mich rein und da hallt es nur dumpf und leer.

Danach war ich im Garten und habe dort soviele rote Erdbeeren pflücken können, dass die mitgenommene Schüssel zu klein war und das sind richtige Erdbeeren, die die Süße von etlichen Sonnenstunden im Geschmack haben. Und während ich in der Küche stehe und sie wasche und putze und überlege, ob ich nicht doch noch spontan einen Kuchen daraus backen sollte, wo es schonmal so viele reife Früchte auf einmal sind, merke ich, wie die Sicht verschwommen wird und wie ich grundlos losheulen muss, bei einer Tätigkeit, die mich normalerweise zum Strahlen bringt.

Und dann kann ich mich nicht mehr länger vor mir selber verstecken und muss mir endlich eingestehen, wie tief ich gerade wieder in der Depression stecke.

Es ist anders als vor Jahren, als diese Freudlosigkeit mich über Wochen und Monate nicht verlassen hat. Äusserlich funktioniere ich, bringe zumindest meistens, zumindest die meisten wirklich dringenden Dinge auf die Reihe, gehe einkaufen und an den Rhein, wasche Wäsche und gieße Blumen. Und ich koche. Und selbst das Kochen, das mich normalerweise richtig froh macht, mache ich, weil ich es eben machen muss. Lust dazu? Fehlanzeige. Und wäre ich nicht so verbissen darin, Essen frisch zuzubereiten und auch dann, wenn es mir schlecht geht, trotzdem diszipliniert genug, hätte ich vermutlich längst mal in den Läden geguckt, was es überhaupt so an Fertigdingsen gibt.

All diese Dinge, die ich zwar gerade auf die Reihe bekomme, kosten mich so viel mehr Kraft als sie das normalerweise tun. Es fällt mir wahnsinnig schwer, mich überhaupt aufzuraffen, sie anzupacken und dann merke ich, wie ich hinterher zusammensacke, manchmal auch mitten drin und wie ich mich ausruhen muss, von Tätigkeiten, die ich normalerweise mal eben mit links und nebenbei erledige. Mutlos. Kraftlos. Müde. Überfordert.

Ich fühle mich gerade wahnsinnig hilflos, weil all meine üblichen Strategien, wie ich mich selber wieder aus diesen Löchern der Depression rausziehen kann, versagen. Weil all die Dinge, die normalerweise helfen, gerade nicht funktionieren und mir langsam die Ideen ausgehen, wie ich es noch versuchen könnte.

Es gibt nicht so viele Dinge, von denen ich selber sage, dass ich sie gut kann oder dass ich darin talentiert bin. Was ich aber üblicherweise als solches empfinde, ist meine Fähigkeit, mich über Kleinkram zu freuen (und zwar so sehr, dass es mir manchmal schon peinlich vor anderen ist, wenn ich zB zu Beginn des Frühlings über jede einzelne Blüte vor Freude quieken kann) und mir das auch selber ins Bewusstsein zu rufen, wenn ich glücklich bin. Es also nicht nur so nebenbei und unterschwellig mitzubekommen, sondern genau hinzugucken und es abzuspeichern.

Und vorhin in der Küche, mit meinen Erdbeeren und dem bewussten Gedanken ‚oh guck mal, so viele kleine rote Glückskugeldingse auf einmal und das von Pflanzen, die du selber gepflanzt und betüdelt hast‘, kommt nicht dieses Glücksgefühl in mir hoch, sondern nur Tränen.

Jetzt sitze ich hier und merke, wie die Gedanken abdriften und dass ich gar nicht weiss, wo ich mit dem Blogartikel hinwill, weil ich mich eigentlich hingesetzt hatte, um von der Marmelade zu erzählen und den Erdbeeren und mir selber und dem restlichen Internet zu versichern, wie toll das ja alles ist und dass jetzt auch wirklich Sommer ist, weil ich ja noch nicht mal Socken trage und das wollte ich in meine Glückskonserven packen. Aber stattdessen kamen da gerade ganz andere Worte aus mir raus und ich weiss gerade nicht, ob das gut oder schlecht ist, glaube aber eher gut, weil ich damit mir gegenüber ehrlicher bin.
Es fällt mir so unendlich schwer, diesen Satz ‚es geht mir schlecht‘ zu formulieren – mir gegenüber oder sonst jemandem gegenüber – und ich merke das daran, dass ich mich hier auch gerade erst mal direkt wieder korrigieren musste, weil ich das viel schwächere ‚es geht mir nicht gut‘ geschrieben hatte.

Ich habe immer Angst, wenn ich dieses Schlechtgehen zugebe, dass man von aussen nur ein Jammern wahrnehmen kann. Dass es wirkt, als würde ich mich lieber hinsetzen und mich selber bemitleiden als aktiv etwas dagegen zu unternehmen. Und so möchte ich weder gerne sein, noch wahrgenommen werden. Dann sage ich mir wieder, dass es mir schon hilft, mich weiterbringt, das (Auf-)Schreiben, weil ich mich damit selber zwinge, mich damit auseinanderzusetzen und mal im blind_weitermachen_als_wäre_nichts innezuhalten und dass es, wenn es denn hilft, ja eigentlich völlig egal sein müsste, sollte, könnte, wie es wirkt oder auch nicht.

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Und dann, als ich gerade soweit getippt habe, ruft der beste Freund an und nach einer Stunde am Telefon und dem Zugeben, dass es mir schlecht geht, fühlt es sich in mir gerade viel aufgeräumter an als noch vor einer Stunde, weil ein paar Dinge an ihren Platz gepurzelt sind und ich zumindest bei der Frage, weswegen das gerade alles so ist, nicht mehr so ratlos bin. Mit ein bisschen Glück verliert diese Situation mit dem Verständnis dann auch wieder ein wenig ihres Schreckens.

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Katja

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